Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
die Kreuzung zwischen einer gigantischen Dampflokomotive und einem Blitzerzeugungsaggregat.
»Darf ich vorstellen – die Rotationsmaschine, bekannter unter dem Namen Leviathan. Seien Sie vorsichtig – sie soll schon mehr als einen Unvorsichtigen verschluckt haben«, sagte Don Basilio. »Wie bei Jona und dem Wal, aber in Form von Gehacktem.«
»So schlimm wird es wohl nicht sein.«
»Wir könnten ja einmal den neuen Stipendiaten reinwerfen, den, der sich als Neffen von Macià bezeichnet und immer so schlaubergert«, schlug Brotons vor.
»Nennen Sie Tag und Stunde, und wir feiern es mit Kutteln an Tomatensoße«, stimmte Don Basilio zu.
Die beiden wieherten wie zwei Pennäler. Ein perfektes Paar, dachte ich.
Der Archivraum bestand aus zahllosen Gängen mit jeweils drei Meter hohen Regalen. Zwei blasse Wesen, die aussahen, als hätten sie seit fünfzehn Jahren kein Sonnenlicht mehr gesehen, fungierten als Brotons’ Assistenten. Als sie ihn erblickten, eilten sie wie treue Maskottchen herbei, um seine Befehle entgegenzunehmen. Brotons warf mir einen fragenden Blick zu.
»Was suchen wir?«
»1904. Tod eines Anwalts namens Diego Marlasca. Herausragendes Mitglied der Barceloneser Gesellschaft, Gründungsmitglied der Kanzlei Valera, Marlasca und Sentis.«
»Monat?«
»November.«
Auf ein Zeichen von Brotons entschwirrten die beiden Assistenten, um die Ausgaben aller Zeitungen vom November 1904 zu holen. Damals war der Tod im Alltag so gegenwärtig, dass die meisten Zeitungen ihre Titelseite mit großen Nachrufen aufmachten. Man durfte annehmen, dass eine Persönlichkeit vom Range Marlascas der städtischen Presse mehr als eine Todesanzeige wert gewesen und die Nachrufe prominent auf der ersten Seite erschienen waren. Die Assistenten kamen mit mehreren Bänden zurück und platzierten sie auf einem großen Tisch. Zu fünft teilten wir uns in die Arbeit, und bald fanden wir Don Diego Marlascas Nachruf wie vermutet auf der ersten Seite der Ausgabe vom 23. November 1904.
»Habemus corpus«, verkündete Brotons, der Entdecker.
Es gab vier Nekrologe auf Marlasca – einen von seiner Familie, einen von der Anwaltskanzlei, einen dritten von der Barceloneser Anwaltskammer und schließlich einen vom Barceloneser Athenäum, einem kulturellen Verein.
»So ist das, wenn man reich ist. Man stirbt ein halbes Dutzend Male«, bemerkte Don Basilio.
Die Nachrufe an sich waren nicht weiter von Interesse. Fürbitten für die unsterbliche Seele des Dahingegangenen, der Hinweis darauf, dass die Beisetzung im engsten Familienkreis stattfinde, prächtige Elogen auf einen großen Mitbürger und Gelehrten, ein unersetzliches Mitglied der Barceloneser Gesellschaft und so weiter.
»Was Sie interessiert, muss einen oder zwei Tage vor-oder nachher erschienen sein«, sagte Brotons.
Wir begannen die Ausgaben der gesamten Woche von Marlascas Tod durchzugehen und stießen auf eine ganze Serie von Meldungen. Die erste verkündete, der distinguierte Rechtsgelehrte sei bei einem Unfall ums Leben gekommen. Don Basilio las die Meldung vor.
»Das hat ein Orang-Utan geschrieben«, sagte er.
»Drei redundante Absätze, die nichts aussagen, und erst am Ende wird erklärt, es habe sich um einen Unfall gehandelt, ohne dass gesagt würde, um was für einen.«
»Da haben wir was Interessanteres«, sagte Brotons.
In einem Artikel des darauffolgenden Tages stand, die Polizei untersuche die Umstände des Unfalls, um den exakten Verlauf des Geschehens zu klären. Das Interessanteste war der Hinweis, dass Marlasca dem gerichtsmedizinischen Gutachten zufolge ertrunken sei.
»Ertrunken?«, fiel ihm Don Basilio ins Wort. »Wie? Wo?«
»Das wird nicht angegeben. Wahrscheinlich musste man die Meldung stutzen für diese dringende, ausführliche Apologie der Sardana da – dreispaltig aufgemacht und unter der Überschrift ›Beim Klang der Tenora -Geist und Stimmung‹«, sagte Brotons.
»Steht dort, wer die Ermittlungen geleitet hat?«, fragte ich.
»Da wird ein gewisser Salvador erwähnt, Ricardo Salvador«, antwortete Brotons.
Wir gingen die übrigen Meldungen zu Marlascas Tod durch, aber es fand sich nichts mehr von Belang. Der Inhalt der Texte wiederholte sich wie in einer Litanei, die allzu sehr der von der Kanzlei Valera ausgegebenen Version glich.
»All das riecht auffällig nach Verschleierung«, sagte Brotons.
Ich war entmutigt. Ich hatte gehofft, etwas mehr zu finden als nur süßliche Gedenktexte und leere Meldungen, die keinerlei Licht auf
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