Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
eine Idee zu hassen. Das erfordert eine gewisse intellektuelle Disziplin und einen obsessiven, krankhaften Geist, der nicht allzu oft anzutreffen ist. Es ist viel einfacher, jemanden mit einem erkennbaren Gesicht zu hassen, dem man an allem, was einem nicht passt, die Schuld in die Schuhe schieben kann. Es muss nicht unbedingt eine Person sein. Es kann auch eine Nation, eine Rasse, eine Gruppe sein, irgendetwas.«
Gegen den präzisen, gelassenen Zynismus des Patrons konnte selbst ich nichts ausrichten. Ich schnaubte niedergeschlagen.
»Spielen Sie jetzt nicht den Musterschüler, Martín. Ihnen ist es egal, und wir brauchen einen Schurken in diesem Vaudeville. Das sollten Sie besser wissen als jeder andere. Es gibt kein Drama ohne Konflikt.«
»Was für einen Schurken möchten Sie denn? Einen tyrannischen Eroberer? Einen falschen Propheten? Den schwarzen Mann?«
»Die Verkleidung überlasse ich Ihnen. Jeder der üblichen Verdächtigen ist mir recht. Unser Schurke soll es uns ermöglichen, die Opferrolle anzunehmen und unsere moralische Überlegenheit einzufordern. Wir werden all das in ihm sehen, was wir in uns selbst nicht zu erkennen vermögen und je nach unseren besonderen Interessen dämonisieren. Das ist das Einmaleins des Pharisäertums. Ich sage ja, Sie sollen die Bibel lesen. Darin finden sich alle Antworten, die Sie suchen.«
»Ich bin dabei.«
»Man braucht nur den Frömmler davon zu überzeugen, dass er frei von Sünde ist, und schon fängt er begeistert an, Steine oder Bomben zu werfen. Tatsächlich ist kein großer Aufwand erforderlich, es braucht nur etwas Ermutigung und ein Alibi, dann überzeugt er sich selbst. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Sie drücken sich hervorragend aus. Ihre Argumente sind so subtil wie der Hochofen in einer Eisenhütte.«
»Ich glaube, mir gefällt dieser herablassende Ton nicht ganz, Martín. Finden Sie vielleicht, das alles sei nicht ganz auf der Höhe Ihrer moralischen oder intellektuellen Reinheit?«
»Überhaupt nicht«, murmelte ich kleinlaut.
»Was liegt Ihnen denn sonst auf der Seele, mein Freund?«
»Dasselbe wie immer. Ich bin nicht sicher, ob ich der Nihilist bin, den Sie benötigen.«
»Das ist niemand. Nihilismus ist eine Pose, keine Doktrin. Halten Sie einem Nihilisten eine Kerzenflamme unter die Hoden, und Sie werden sehen, wie schnell er das Licht des Lebens sieht. Was Sie stört, ist etwas anderes.«
Ich schaute ihm direkt in die Augen und gewann meinen herausforderndsten Ton zurück.
»Vielleicht stört mich, dass ich zwar alles verstehe, was Sie sagen, dass ich es aber nicht fühle.«
»Bezahle ich Sie dafür, dass Sie fühlen?«
»Manchmal ist Fühlen und Denken dasselbe. Der Gedanke ist von Ihnen, nicht von mir.«
Der Patron lächelte in einer seiner dramatischen Pausen, wie ein Schullehrer, der den tödlichen Stoß vorbereitet, um einen ungezogenen, widerspenstigen Schüler zum Schweigen zu bringen.
»Und was fühlen Sie, Martín?«
Die Ironie und Verachtung in seiner Stimme ermutigten mich, und ich öffnete dem in seinem Schatten über Monate angehäuften Gefühl der Erniedrigung die Schleusen. Ich spürte Wut und Scham darüber, dass ich mich von seiner Gegenwart einschüchtern ließ und seine vergifteten Abhandlungen duldete. Wut und Scham darüber, dass er mir, obwohl ich glauben wollte, in mir gebe es nichts als Verzweiflung, gezeigt hatte, dass meine Seele genauso schäbig und elend war wie seine Gossenphilosophie. Wut und Scham, weil ich spürte und wusste, dass er in allem recht hatte, besonders dann, wenn es am schwersten zu akzeptieren war.
»Ich habe Sie etwas gefragt, Martín. Was fühlen Sie?«
»Ich habe das Gefühl, dass ich die Dinge am besten so belasse, wie sie sind, und Ihnen Ihr Geld zurückgebe. Ich habe das Gefühl, dass ich, was immer Sie mit diesem absurden Unterfangen erreichen wollen, lieber keinen Anteil daran haben möchte. Und vor allem habe ich das Gefühl, ich hätte Sie besser nie kennengelernt.«
Der Patron schloss die Augen und versank in ein langes Schweigen. Er wendete sich um und ging einige Schritte in Richtung Friedhofstor. Ich beobachtete seine sich vor dem Marmorgarten abzeichnende dunkle Gestalt, seinen reglosen Schatten im Regen. Ich hatte Angst, eine undeutliche Angst, die in mir wuchs und mir den kindlichen Gedanken eingab, um Verzeihung zu bitten und jede beliebige Strafe zu akzeptieren, wenn ich nur dieses Schweigen nicht mehr ertragen musste. Und ich verspürte Ekel. Vor
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