Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
legte ein paar Münzen auf den Tisch. Dann klopfte er mir auf die Schulter und erhob sich.
»Passen Sie auf sich auf, Martín. Und achten Sie darauf, wo Sie hintreten. Nicht alle schätzen Sie so wie ich.«
»Ich werde es beherzigen.«
Es war beinahe Mittag, als ich nach Hause kam. Was mir der Inspektor erzählt hatte, wollte mir nicht aus dem Kopf. Ich stieg die Treppe so langsam hinauf, als wöge selbst meine Seele schwer. Ich öffnete die Tür mit der Befürchtung, von einer redseligen Isabella empfangen zu werden, doch es war alles still. Ich ging durch den Korridor zur Veranda, und da sah ich sie, schlafend auf dem Sofa und mit einem aufgeschlagenen Buch auf der Brust, einem meiner alten Romane, was mir ein Lächeln entlockte. In diesen Herbsttagen war die Temperatur in der Wohnung spürbar gesunken, und ich fürchtete, Isabella könnte sich erkälten. Ich hatte sie manchmal mit einem wollenen Schultertuch durch die Wohnung gehen sehen und wollte es aus ihrem Zimmer holen und leise über sie legen. Die Tür war angelehnt, und da ich dieses Zimmer nicht mehr betreten hatte, seit Isabella bei mir wohnte, obwohl es meine Wohnung war, fühlte ich mich etwas gehemmt. Ich erblickte das Schultertuch zusammengefaltet auf einem Stuhl. Der Raum roch nach Isabellas süßem Zitronenduft. Das Bett war noch ungemacht, und da ich wusste, dass ich im Ansehen meiner Assistentin um viele Punkte stieg, wenn ich mich einer häuslichen Beschäftigung hingab, beugte ich mich nieder, um die Laken glatt zu streichen.
Da sah ich zwischen Matratze und Rahmen etwas stecken: Unter der Falte des Betttuchs lugte die Ecke eines Kuverts hervor. Als ich daran zog, hielt ich ein verschnürtes Bündel von etwa zwanzig blauen Umschlägen in der Hand. Ein Gefühl der Kälte durchfuhr mich, aber ich wollte es nicht wahrhaben. Ich knotete die Schleife auf und nahm einen der Umschläge. Auf der Vorderseite standen mein Name und meine Adresse, als Absender war nur Cristina angegeben.
Mit dem Rücken zur Tür setzte ich mich aufs Bett und studierte einen nach dem anderen die Poststempel. Der erste war mehrere Wochen alt, der letzte drei Tage. Alle Umschläge waren geöffnet. Ich schloss die Augen und merkte, wie mir die Kuverts entglitten. Da hörte ich ihren Atem hinter mir.
»Verzeihen Sie mir«, hauchte sie.
Sie kam langsam näher und kniete sich hin, um die Briefe aufzulesen. Als sie alle wieder gebündelt hatte, reichte sie sie mir mit einem schmerzerfüllten Blick.
»Ich hab es getan, um Sie zu schützen«, sagte sie.
Isabellas Augen füllten sich mit Tränen, und sie legte mir eine Hand auf die Schulter.
»Geh«, sagte ich.
Ich stieß sie weg und stand auf. Isabella sank mit einem Stöhnen zu Boden, als würde sie innerlich verbrennen.
»Verlass dieses Haus.«
Ich ging, ohne mir die Mühe zu machen, die Haustür hinter mir zu schließen. Auf der Straße sah ich mich einer Welt voller fremder, ferner Fassaden und Gesichter gegenüber. Ich ging los, ohne Ziel und Richtung, ohne die Kälte, den Regen und den Wind zu spüren, der die Stadt wie ein Fluch zu peitschen begonnen hatte.
34
Die Straßenbahn hielt vor dem Eingang zu Gaudis Torre de Bellesguard, wo die Stadt am Fuß des Hügels erstarb. Ich folgte dem Pfad aus gelblichem Licht, den die Scheinwerfer der Straßenbahn in den Regen bohrten, und ging auf das Tor des Friedhofs San Gervasio zu. Seine Mauern erhoben sich in fünfzig Meter Entfernung zu einer marmornen Festung, aus der ein Dickicht an Statuen in allen Schattierungen einer Gewitterwolke aufragte. Am Eingang stand eine Pförtnerloge, in der sich ein Aufseher im Mantel über einem Kohlenbecken die Hände wärmte. Als er mich aus dem Regen auftauchen sah, schreckte er hoch. Er musterte mich einige Sekunden, bevor er das Türchen öffnete.
»Ich suche das Familiengrab der Marlascas.«
»In weniger als einer halben Stunde ist es dunkel. Sie kommen besser an einem anderen Tag wieder.«
»Je eher Sie mir sagen, wie ich es finde, desto eher gehe ich auch wieder.«
Er schaute in einem Verzeichnis nach und zeigte mir dann mit dem Finger den Standort auf einem Plan an der Wand. Ohne mich zu bedanken, ging ich davon.
Unschwer fand ich im Gewirr von Gräbern und Mausoleen die Marlasca-Gruft. Die Anlage ruhte auf einem Marmorsockel und war von einer Kuppel überspannt, auf der sich eine ebenfalls marmorne, geschwärzte Gestalt erhob. Ihr Gesicht war von einem Schleier verhüllt, aber wenn man sich dem Familiengrab
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