Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
nicht ahnen, dass die besonderen Wonnen erst ihren Anfang genommen hatten. Ich musste etwa zwei Stunden geschlafen haben, als ich mitten in der Nacht aufschreckte. Jemand hämmerte an die Wohnungstür. Einige Sekunden tastete ich im Finstern verwirrt nach der Lampenschnur. Erneut wurde an die Tür gehämmert. Ich machte Licht, sprang aus dem Bett und ging zur Tür, wo ich den Deckel des Gucklochs zurückschob. Drei Gesichter im Halbdunkel des Treppenabsatzes. Inspektor Grandes und hinter ihm Marcos und Castelo, alle drei starrten. Ich atmete zweimal tief durch, dann öffnete ich.
»Guten Abend, Martín. Entschuldigen Sie die späte Stunde.«
»Wie spät ist es denn?«
»Spät genug, um deinen Arsch zu bewegen, du Mistkerl«, knurrte Marcos, was Castelo ein Lächeln abnötigte, mit dem ich mich hätte rasieren können.
Grandes warf ihnen einen missbilligenden Blick zu und seufzte.
»Kurz nach drei. Darf ich reinkommen?«
Verärgert nickte ich und machte ihm Platz. Er bedeutete seinen Männern, draußen zu warten. Sie bedachten mich mit einem Reptilienblick und blieben widerwillig stehen. Ich knallte ihnen die Tür vor der Nase zu.
»Sie sollten mit den beiden etwas vorsichtiger sein«, sagte Grandes, während er ungezwungen durch den Korridor marschierte.
»Fühlen Sie sich wie zuhause«, sagte ich.
Ich ging ins Schlafzimmer und zog das Erstbeste an, was ich auf einem Stuhl mit schmutziger Wäsche fand. Als ich wieder auf den Korridor trat, war von Grandes keine Spur zu sehen.
Ich fand ihn in der Veranda, wo er durchs Fenster den über die Dächer kriechenden Wolken zusah.
»Und das süße Püppchen?«, fragte er.
»Bei sich zuhause.«
Lächelnd wandte er sich um.
»Sehr weise, ihr keine Vollpension anzubieten.« Er deutete auf einen Sessel. »Setzen Sie sich.«
Ich ließ mich in den Fauteuil fallen. Grandes blieb stehen und schaute mich unverwandt an.
»Was gibt es?«, fragte ich schließlich.
»Sie sehen schlecht aus, Martín. Sind Sie in eine Schlägerei geraten?«
»Ich bin gestürzt.«
»Mhm. Ich glaube, Sie haben heute den Zauberladen von Señor Damián Roures in der Calle Princesa aufgesucht.«
»Sie haben mich doch heute Mittag dort rauskommen sehen – was soll das Ganze?« Grandes schaute mich kalt an.
»Nehmen Sie Ihren Mantel und einen Schal oder was auch immer. Es ist kalt. Wir gehen aufs Revier.« »Wozu?«
»Tun Sie, was ich Ihnen sage.«
Ein Wagen des Präsidiums wartete auf dem Paseo del Born. Marcos und Castelo schoben mich ohne viel Federlesens hinein und zwängten sich links und rechts neben mich.
»Sitzt der junge Herr auch bequem?«, fragte Castelo und rammte mir den Ellbogen in die Rippen.
Der Inspektor setzte sich vorn neben den Fahrer. In den fünf Minuten, die wir durch die menschenleere, in ockerfarbenem Nebel liegende Via Layetana fuhren, sagte keiner der drei ein Wort. Beim Zentralrevier angekommen, ging Grandes hinein, ohne auf uns zu warten. Mit einem Knochenbrechergriff packten mich Marcos und Castelo je an einem Arm und schleiften mich durch ein Labyrinth von Treppen, Gängen und Zellen zu einem fensterlosen Raum, der nach Schweiß und Urin stank. In der Mitte stand ein wurmstichiger Holztisch mit zwei schäbigen Stühlen. An der Decke hing eine nackte Glühbirne, und mitten im Fußboden, wo die leicht gegeneinander geneigten Flächen zusammenliefen, war ein Abflussgitter eingelassen. Es war eisig kalt. Ehe ich mich’s versah, wurde hinter mir die Tür ins Schloss geworfen. Ich hörte, wie sich die Schritte entfernten. Zwölf Runden drehte ich in diesem Kerker, bevor ich mich auf einen der wackligen Stühle fallen ließ. In der folgenden Stunde hörte ich kein einziges Geräusch außer meinem Atem, dem knarrenden Stuhl und dem Tropfen irgendeiner undichten Stelle, die ich nicht ausfindig machen konnte.
Eine Ewigkeit später vernahm ich den Hall näher kommender Schritte, und kurz danach öffnete sich die Tür. Marcos grinste herein und hielt Grandes die Tür auf, der eintrat, ohne mich eines Blickes zu würdigen, und auf dem Stuhl am anderen Tischende Platz nahm. Er gab Marcos ein Zeichen, worauf dieser die Tür wieder schloss, nachdem er mir mit einem Augenzwinkern einen Kuss durch die Luft geschickt hatte. Der Inspektor geruhte erst nach einer guten halben Minute, mir ins Gesicht zu schauen.
»Wenn Sie mich beeindrucken wollten, dann haben Sie es bereits geschafft, Inspektor.«
Er überhörte meine Ironie und starrte mich an, als hätte er mich noch
Weitere Kostenlose Bücher