Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
zusammengefaltet auf einem Stuhl, die Matratze war unbezogen. Noch roch es nach Isabella. In der Veranda setzte ich mich an den Schreibtisch, den sie benutzt hatte. Sie hatte die Bleistifte gespitzt und fein säuberlich in ein Glas gestellt. Auf einem Tablett stapelten sich weiße Blätter. Die Schreibgarnitur, die ich ihr geschenkt hatte, stand daneben. Noch nie war mir die Wohnung so leer vorgekommen.
Im Bad zog ich die nassen Kleider aus und versorgte meinen Hinterkopf mit einem in Alkohol getränkten Wundverband. Der Schmerz war zu einem dumpfen, einem gewaltigen Kater nicht unähnlichen Pochen abgeklungen. Im Spiegel sahen die Schnitte auf der Brust wie mit der Feder gezogene Linien aus. Sie waren sauber und oberflächlich, brannten aber höllisch. Ich reinigte sie mit Alkohol und hoffte, dass sie sich nicht entzündeten.
Dann legte ich mich ins Bett und deckte mich mit mehreren Decken bis zum Hals zu. Die einzigen nicht schmerzenden Stellen meines Körpers waren die, welche Kälte und Regen bis zur Gefühllosigkeit betäubt hatten. Ich wartete darauf, dass mir wärmer wurde, und lauschte dieser kalten Stille, dieser Abwesenheit und Leere, die die Wohnung erstickte. Isabella hatte das Bündel mit Cristinas Briefen auf meinen Nachttisch gelegt. Ich streckte die Hand aus und nahm aufs Geratewohl einen. Er war zwei Wochen alt.
Lieber David,
die Tage vergehen, und ich schreibe dir weiterhin Briefe, die du vermutlich nicht beantworten willst, wenn du sie denn überhaupt öffnest. Mittlerweile denke ich, ich schreibe sie nur für mich, um die Einsamkeit zu vertreiben und einen Augenblick lang zu glauben, du seist bei mir. Jeden Tag frage ich mich, wie es dir wohl geht, was du wohl tust.
Manchmal denke ich, du habest Barcelona verlassen, um nie mehr zurückzukehren, und stelle dich mir irgendwo unter Fremden vor, wie du ein neues Leben beginnst, von dem ich nie etwas erfahren werde. Dann wieder denke ich, dass du mich noch hasst, dass du diese Briefe vernichtest und mich am liebsten niemals kennengelernt hättest. Ich gebe dir keine Schuld. Seltsam, wie leicht man, wenn man allein ist, einem Blatt Papier anvertraut, was jemandem ins Gesicht zu sagen man sich nicht trauen würde.
Ich habe es nicht leicht. Pedro könnte nicht liebenswürdiger und verständnisvoller sein mit mir. Er ist es so sehr, dass mich seine Geduld manchmal aufbringt, und sein Wunsch, mich glücklich zu machen, bewirkt nur, dass ich mich desto elender fühle. Er hat mir gezeigt, dass mein Herz leer ist, dass ich niemandes Liebe verdiene. Er verbringt fast den ganzen Tag bei mir, weil er mich nicht allein lassen mag.
Ich lächle jeden Tag und teile das Bett mit ihm. Wenn er mich fragt, ob ich ihn liebe, bejahe ich, und wenn ich die Wahrheit in seinen Augen lese, möchte ich sterben. Er macht es mir nie zum Vorwurf. Er spricht viel von dir und vermisst dich. So sehr, dass ich manchmal denke, du seist die Person, die er auf dieser Welt am meisten liebt. Ich sehe, wie er einsam älter wird, in der denkbar schlechtesten Gesellschaft, der meinen. Ich kann nicht verlangen, dass du mir verzeihst, aber wenn ich mir auf dieser Welt etwas wünsche, dann, dass du ihm verzeihst. Ich bin es nicht wert, dass du ihm deine Freundschaft und Gesellschaft entziehst.
Gestern habe ich eines deiner Bücher zu Ende gelesen. Pedro hat sie alle, und ich habe sie eines nach dem anderen gelesen, weil das die einzige Möglichkeit ist, mich dir nahe zu fühlen. Es war eine traurige, seltsame Geschichte – von zwei zerbrochenen, verlassenen Puppen in einem Wanderzirkus, die für eine Nacht zum Leben erwachen, aber wissen, dass sie im Morgengrauen sterben müssen. Als ich sie las, hatte ich das Gefühl, du schriebest über uns.
Vor einigen Wochen habe ich geträumt, ich hätte dich wiedergesehen, wir wären uns auf der Straße begegnet und du hättest dich nicht mehr an mich erinnert. Du hast mir zugelächelt und mich gefragt, wie ich heiße. Du wusstest nichts von mir. Du hast mich nicht gehasst. Jeden Abend, wenn Pedro neben mir einschläft, schließe ich die Augen und bitte den Himmel oder die Hölle darum, mich noch einmal dasselbe träumen zu lassen.
Morgen oder vielleicht übermorgen werde ich dir wieder schreiben, um dir zu sagen, dass ich dich liebe, obwohl dir das nichts bedeutet.
Cristina
Ich ließ den Brief zu Boden gleiten, unfähig, weitere zu lesen. Morgen ist wieder ein Tag, sagte ich mir. Es konnte schwerlich noch schlimmer kommen. Ich konnte
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