Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
ganz bei Trost sind. Sie erleben eine persönliche Tragödie, verlieren einen Geliebten oder ein Vermögen und fallen in ein Loch. Das Gehirn ist das fragilste Organ des Körpers. Señor Marlasca war nicht recht bei Sinnen, und das konnte jeder sehen, der sich nur fünf Minuten mit ihm unterhielt. Darum ist er zu mir gekommen.«
»Und Sie haben ihm gesagt, was er hören wollte.«
»Nein. Ich habe ihm die Wahrheit gesagt.«
»Ihre Wahrheit?«
»Die einzige, die ich kenne. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Mann ernstlich aus dem Gleichgewicht geraten war, und wollte ihn nicht ausnutzen. So was endet nie gut. In diesem Geschäft gibt es eine Grenze, die man nicht überschreitet, wenn man weiß, was gut für einen ist. Wer auf der Suche nach Zerstreuung oder ein wenig Emotion und jenseitigem Trost zu mir kommt, der wird bedient, und er bezahlt für eine Dienstleistung. Aber wer kommt, weil er demnächst den Verstand verliert, der wird nach Hause geschickt. Das ist eine Darbietung wie jede andere auch. Was man will, sind Zuschauer, keine Verrückten.«
»Eine mustergültige Ethik. Was haben Sie Marlasca also gesagt?«
»Ich habe ihm gesagt, das Ganze sei Hokuspokus und Firlefanz. Ich habe ihm gesagt, ich sei ein Schwindler, der sich seinen Lebensunterhalt mit spiritistischen Sitzungen für arme Unglückliche verdiene, die ihre Angehörigen verloren haben und des Glaubens bedürften, dass Liebhaber, Eltern und Freunde sie im Jenseits erwarten. Ich habe ihm gesagt, im Jenseits gebe es nichts, nur eine große Leere, diese Welt sei alles, was wir hätten. Ich habe ihm gesagt, er solle die Geister vergessen und zu seiner Familie zurückkehren.«
»Und hat er Ihnen geglaubt?«
»Offensichtlich nicht. Er kam zwar nicht mehr zu den Sitzungen, suchte aber anderswo Hilfe.« »Nämlich?«
»Irene ist in einer Hütte am Strand von Bogatell aufgewachsen, und obwohl sie als Schauspielerin und Tänzerin am Paralelo berühmt geworden war, gehörte sie nach wie vor dorthin. Sie erzählte mir, sie habe Marlasca zu einer Frau gebracht, die die Hexe von Somorrostro genannt wurde und die ihn vor der Person schützen sollte, in deren Schuld er stand.«
»Hat Irene den Namen dieser Person genannt?«
»Falls sie es getan hat, weiß ich ihn nicht mehr. Ich sage Ihnen ja, sie kamen nicht mehr zu den Sitzungen.«
»Andreas Corelli?«
»Diesen Namen habe ich noch nie gehört.« »Wo kann ich Irene Sabino finden?« »Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß«, antwortete Roures gereizt.
»Eine letzte Frage, und dann gehe ich.« »Zu schön, um wahr zu sein.«
»Können Sie sich erinnern, ob Marlasca jemals den Namen Lux Aeterna erwähnt hat?«
Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Danke für Ihre Hilfe.«
»Nichts zu danken. Und wenn möglich, kommen Sie nicht wieder her.«
Ich nickte, und auf dem Weg zur Tür spürte ich seinen misstrauischen Blick im Rücken.
»Warten Sie«, rief er mir zu, schon auf der Schwelle zum Hinterzimmer.
Ich drehte mich um. Das Männchen schaute mich unschlüssig an.
»Ich glaube mich zu erinnern, dass Lux Aeterna, der Titel von einer Art religiösem Pamphlet war, das wir einmal bei den Sitzungen in der Calle Elisabets verwendet haben. Es gehörte zu einer Sammlung ähnlicher Bändchen, wahrscheinlich aus der Bibliothek des Aberglaubens der Gesellschaft ›Die Zukunft‹ ausgeliehen. Ich weiß nicht, ob es das ist, was Sie meinten.«
»Wissen Sie noch, wovon es handelte?«
»Besser gekannt hat es mein Partner Jaco, der die Sitzungen leitete. Aber soviel ich weiß, war Lux Aeterna eine Art Gedicht über den Tod und die sieben Namen des Sohnes der Morgendämmerung, den Lichtbringer.«
»Den Lichtbringer?«
Roures lächelte.
»Luzifer.«
33
Wieder auf der Straße, wusste ich nicht genau, was ich als Nächstes tun sollte, und machte mich auf den Heimweg. Kurz vor der Einmündung der Calle Montcada erblickte ich ihn. Inspektor Victor Grandes lehnte an einer Hauswand, rauchte eine Zigarette und winkte mir lächelnd zu. Ich überquerte die Straße und ging zu ihm.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie sich für Zauberei interessieren, Martín.«
»Und ich nicht, dass Sie mich beschatten, Inspektor.«
»Ich beschatte Sie nicht. Sie sind bloß schwer ausfindig zu machen, und so habe ich gedacht, wenn der Berg nicht zu mir kommt, geh ich eben zum Berg. Haben Sie fünf Minuten Zeit, um etwas zu trinken? Die Oberpolizeidirektion lädt ein.«
»In diesem Fall … Haben Sie
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