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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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seiner ehemaligen Waffenkameraden waren an Körper und Seele versehrt wie lebendige Leichname zurückgekommen, nur um festzustellen, dass ihnen die, die sie im Namen Gottes und des Vaterlandes in den Tod geschickt hatten, jetzt ins Gesicht spuckten. Sie verwickelten ihn schon bald in zwielichtige Geschäfte, die für ihn eine Nummer zu groß waren und die er nie ganz durchschaute.
    Oft verschwand er für zwei Tage, und wenn er zurückkam, rochen seine Hände und Kleider nach Schießpulver, und Geld beulte seine Taschen. Dann flüchtete er sich in sein Zimmer, wo er sich das wenige oder viele spritzte, das er hatte beschaffen können. Er dachte, ich merke nichts, und anfänglich schloss er nicht einmal die Tür; doch eines Tages ertappte er mich dabei, wie ich ihn ausspionierte, und verpasste mir eine Ohrfeige, die mir die Lippen spaltete. Dann umarmte er mich, bis ihm die Kraft schwand und er auf dem Boden lag, die Nadel noch in der Haut. Ich zog sie heraus und deckte ihn zu. Nach diesem Zwischenfall begann er sich einzuschließen.
    Wir wohnten in einer kleinen Mansarde über der Baustelle des neuen Konzertsaals, des Palau de la Música de l’Orfeó Català. Es war eine kalte, enge Bleibe, in der Wind und Feuchtigkeit sich über die Mauern zu mokieren schienen. Ich setzte mich immer auf den winzigen Balkon und ließ die Beine baumeln, um die Vorbeigehenden zu beobachten und dieses Riff aus unmöglichen Skulpturen und Säulen zu bestaunen, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite heranwuchs und fast mit Fingern zu greifen nahe schien und dann so weit entfernt war wie der Mond. Ich war ein schwaches, kränkliches Kind, anfällig für Fieber und Infektionen, die mich an den Rand des Grabes brachten, es sich aber im letzten Moment immer anders überlegten und wieder abzogen, um sich eine gewichtigere Beute zu suchen. Wenn ich krank wurde, verlor der Vater schnell die Geduld und überließ mich nach der zweiten schlaflosen Nacht der Obhut einer Nachbarin, um für zwei Tage zu verschwinden. Mit der Zeit hatte ich den Verdacht, er hoffe mich nach seiner Rückkehr tot vorzufinden und so die Last dieses Kindes mit der zarten Gesundheit los zu sein, das zu nichts zu gebrauchen war.
    Mehr als einmal verspürte ich den Wunsch, es möge so kommen, aber immer war ich bei seiner Rückkehr noch am Leben, ja munter und ein wenig größer. Zwar schämte sich Mutter Natur nicht, mich mit der ganzen Reichhaltigkeit ihres Keim- und Plagenkatalogs zu erfreuen, aber nie fand sie einen Weg, das Gesetz der Schwerkraft endgültig auf mich anzuwenden. Entgegen jeder Vorhersage überlebte ich die Gratwanderung, die die Kindheit vor der Entdeckung des Penizillins war. Damals hauste der Tod noch nicht in der Anonymität; man konnte überall sehen und riechen, wie er die Seelen mitriss, die noch gar keine Gelegenheit zum Sündigen bekommen hatten.
    Schon früh waren Papier und Druckerschwärze meine einzigen Freunde. In der Schule hatte ich viel eher lesen und schreiben gelernt als die anderen Kinder des Viertels. Wo meine Kameraden auf den Seiten bloß aufgedruckte Farbe sahen, entdeckte ich Licht, Straßen und Menschen. Die Wörter und das Mysterium ihres verborgenen Wissens faszinierten mich und waren wie ein Schlüssel, der mir eine unendliche Welt aufschloss und mich vor diesem Haus, vor diesen Straßen und an den trüben Tagen behütete, da sogar ich ahnte, dass mich mehr Unglück als Glück erwartete. Mein Vater wollte keine Bücher im Haus sehen. Abgesehen von den Buchstaben, die er nicht enträtseln konnte, steckte noch etwas in ihnen, das ihn beleidigte. Er sagte, sobald ich zehn wäre, würde er mir eine Arbeit suchen, ich solle mir besser gleich alle Flausen aus dem Kopf schlagen, sonst würde ich als Hungerleider enden. Ich versteckte die Bücher unter meiner Matratze und wartete, bis er aus dem Haus gegangen oder eingeschlafen war, um zu lesen. Einmal ertappte er mich bei nächtlicher Lektüre und geriet in Rage. Er riss mir das Buch aus den Händen und warf es aus dem Fenster.
    »Wenn ich dich noch einmal dabei erwische, wie du mit dem Lesen von solchem Mist Strom vergeudest, kannst du was erleben.«
    Mein Vater war kein Geizkragen, und trotz unserer Nöte rückte er, wann immer er konnte, einige Münzen heraus, damit ich mir wie alle anderen Kinder des Viertels Schleckereien kaufen konnte. Er war überzeugt, dass ich das Geld in Süßholz, Sonnenblumenkerne oder Bonbons steckte, aber ich verwahrte es in einer Kaffeedose unter

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