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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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glänzende Haar war rechtwinklig zu einem Rahmen um ihr Gesicht geschnitten. Ihre Lippen waren wie mit frischem Blut geschminkt, und um die grünen Augen spielten schwarze Schatten. Sie bewegte sich so geschmeidig, als ob dieser in ein schuppig schillerndes Korsett gegossene Körper aus Wasser bestünde und die Schwerkraft narren könnte. Ihren schmalen, endlosen Hals umgab ein scharlachrotes Band mit einem umgekehrten Kruzifix. Ich beobachtete sie, wie sie langsam näher kam, unfähig zu atmen, die Augen auf die unglaublich geformten, dolchspitzen, die Knöchel mit Seidenbändern umschlingenden Schuhe geheftet. Die Schenkel umkleideten Seidenstrümpfe, die wahrscheinlich meinen Jahresverdienst verschlungen hätten. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie etwas so Schönes gesehen – und nichts, was mir solche Angst einflößte.
    Ich ließ mich von diesem Wesen zum Bett führen, wo ich ihm buchstäblich unterlag. Das Kerzenlicht umschmeichelte die Umrisse ihres Körpers. Mein Gesicht und meine Lippen verharrten auf der Höhe ihres nackten Bauches, und ohne recht zu wissen, was ich tat, küsste ich sie unterhalb des Nabels und rieb meine Wange zärtlich an ihrer Haut. Ich vergaß, wer und wo ich war. Sie kniete sich vor mich hin und ergriff meine rechte Hand. Schmachtend nahm sie wie eine Katze einen nach dem anderen meine Finger zwischen die Zähne; dann schaute sie mich unverwandt an und begann mich zu entkleiden. Als ich ihr dabei behilflich sein wollte, lächelte sie und schob meine Hände weg. »Pssst.«
    Als sie fertig war, beugte sie sich zu mir und fuhr mit der Zunge über meine Lippen.
    »Jetzt du. Zieh mich aus. Langsam. Ganz langsam.«
    Da wurde mir klar, dass ich meine kränkliche, jämmerliche Kindheit einzig überstanden hatte, um diese Sekunden zu erleben. Langsam zog ich sie aus, entblätterte sie, bis sie nur noch das Samtband um den Hals und die schwarzen Strümpfe am Leib trug – allein von der Erinnerung an Letztere könnte ein Unglücklicher wie ich wohl hundert Jahre sein Leben fristen.
    »Streichle mich«, raunte sie mir zu. »Spiel mit mir.«
    Ich liebkoste und küsste jeden Zentimeter ihrer Haut, als wollte ich ihn mir für den Rest meines Lebens einprägen. Chloé hatte keine Eile und antwortete auf die Berührung meiner Hände und Lippen mit sanftem Stöhnen, das mich leitete. Dann bedeutete sie mir, mich aufs Bett zu legen, und bedeckte meinen Körper mit ihrem, bis mir sämtliche Poren glühten. Ich legte meine Hände auf ihren Rücken und wanderte die herrliche Linie ihrer Wirbelsäule entlang. Ihr undurchdringlicher Blick betrachtete mich wenige Zentimeter über meinem Gesicht. Ich hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen.
    »Ich heiße …«
    »Pssst.«
    Bevor ich zu einer weiteren Albernheit ansetzen konnte, presste Chloé ihre Lippen auf die meinen und entzog mich für eine Stunde der Welt. Sie musste meine Unbeholfenheit bemerken, ließ es mich aber nicht spüren, nahm jede meiner Bewegungen vorweg und führte meine Hände ohne Eile und Scham über ihren Körper. In ihren Augen war kein Zeichen von Überdruss oder Unaufmerksamkeit zu entdecken. Sie gestattete mir alles und ließ mich sie mit unendlicher Geduld und einer Zärtlichkeit genießen, die mich vergessen machte, wie ich hierhergeraten war. In dieser kurzen Stunde lernte ich jede Linie ihres Körpers auswendig, so wie andere Gebete oder Verwünschungen. Später, als mir kaum noch Atem blieb, ließ mich Chloé den Kopf auf ihre Brust legen und kraulte lange schweigend in meinen Haaren, bis ich in ihren Armen einschlief, die Hand zwischen ihren Schenkeln.
    Als ich aufwachte, lag das Zimmer im Halbdunkel, und Chloé war verschwunden, ihre Haut nicht mehr in meinen Händen. Dafür fand ich eine Visitenkarte aus dem gleichen hellen Pergament wie das Kuvert mit der Einladung. Unter dem Emblem des Engels war aufgedruckt:
    Andreas Corelli
    Éditeur
    Éditions de la Lumière
    69,Boulevard Saint-Germain
    Paris
     
    Auf der Rückseite stand handschriftlich:
     
    Lieber David, das Leben besteht aus großen Erwartungen. Sobald Sie bereit sind, die Ihren Wirklichkeit werden zu lassen, setzen Sie sich mit mir in Verbindung. Ich werde Sie erwarten. Ihr Freund und Leser
    A. C.
     
    Ich sammelte meine Kleider auf und zog mich an. Die Zimmertür war nicht mehr abgeschlossen. Ich ging durch den Korridor in den Salon, wo das Grammophon verstummt war. Von dem Mädchen und der weißhaarigen Frau war nichts mehr zu sehen. Die Stille war

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