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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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schaute mich zornig an, beherrschte sich aber und atmete mehrere Male mit geschlossenen Augen durch, bevor er etwas sagte.
    »Wir werden schon über die Runden kommen, verstehst du? Du und ich. Ohne die Almosen von all diesen Mistkerlen. Und zwar mit hoch erhobenem Kopf.«
    »Ja, Vater.«
    Er legte mir eine Hand auf die Schulter und schaute mich an, als wäre er für einen kurzen Augenblick, der nie wiederkommen sollte, stolz auf mich, obwohl wir so verschieden waren, obwohl ich Bücher mochte, die er nicht lesen konnte, ja obwohl die Mutter uns verlassen und entzweit hatte. In diesem Moment hielt ich den Vater für den gütigsten Menschen der Welt und dachte, alle würden das merken, wenn ihm das Leben nur einmal gute Karten zuspielte.
    »Alles Schlechte, was man im Leben tut, schlägt auf einen zurück, David. Und ich habe viel Schlechtes getan, sehr viel. Aber ich habe dafür gebüßt. Und unser Blatt wird sich wenden. Du wirst schon sehen. Du wirst schon sehen …«
    Obwohl Doña Mariana, die mit allen Wassern gewaschen war, sich in etwa vorstellen konnte, woher der Wind wehte, ließ sie nicht locker, doch ich erwähnte das Thema der Ausbildung gegenüber dem Vater nicht mehr. Als ihr klar wurde, dass nichts zu machen war, sagte sie, sie werde mir von nun an täglich nach dem Unterricht eine weitere Stunde geben, nur mir allein, um mir etwas über Bücher, Geschichte und all die Dinge zu erzählen, die den Vater in Angst und Schrecken versetzten.
    »Das wird unser Geheimnis sein.«
    Mittlerweile hatte ich begriffen, dass sich der Vater schämte, weil ihn die Leute für einen Ignoranten hielten, Überbleibsel eines Krieges, der wie fast alle Kriege im Namen Gottes und des Vaterlandes ausgefochten worden war, um Menschen, die schon vorher mächtig gewesen waren, noch mächtiger zu machen. In dieser Zeit fing ich an, den Vater manchmal zu seiner Nachtschicht zu begleiten. In der Calle Trafalgar nahmen wir eine Straßenbahn, die uns vor den Friedhofstoren absetzte. Ich blieb in seinem Pförtnerhäuschen, las alte Zeitungen und versuchte mich ab und zu mit ihm zu unterhalten – eine schwierige Aufgabe. Der Vater sprach kaum noch, weder über den Kolonialkrieg noch über die Frau, die ihn verlassen hatte. Einmal fragte ich ihn, warum die Mutter nicht mehr bei uns sei. Ich argwöhnte, es sei meinetwegen, weil ich etwas Unrechtes getan hätte, und sei es nur, auf die Welt gekommen zu sein.
    »Deine Mutter hatte mich schon verlassen, bevor ich an die Front geschickt wurde. Ich war der Blödmann, weil ich es nicht merkte, bis ich zurückkam. So ist das Leben, David. Über kurz oder lang lassen uns alle und alles im Stich.»
    »Ich werde Sie nie im Stich lassen, Vater.«
    Ich hatte den Eindruck, er breche gleich in Tränen aus, und umarmte ihn, um sein Gesicht nicht sehen zu müssen.
    Ohne Vorankündigung ging er am nächsten Tag mit mir zur Stoffhandlung El Indio in der Calle del Carmen. Wir traten zwar nicht ein, aber durch die großen Fenster des Vorraums hindurch deutete er auf eine junge, heitere Frau, die den Kunden Tücher und Stoffe vorlegte.
    »Das ist deine Mutter«, sagte er. »Nächstens komm ich mal vorbei und bring sie um.«
    »So was dürfen Sie nicht sagen, Vater.«
    Er sah mich mit geröteten Augen an, und da wurde mir klar, dass er sie immer noch liebte und dass ich ihr deswegen nie vergeben würde. Ich erinnere mich, wie wir sie damals unbemerkt im Verborgenen beobachteten, und dass ich sie nur aufgrund des Fotos erkannte, das der Vater zuhause in einer Schublade aufbewahrte, neben seiner Ordonnanzpistole, die er jeden Abend, wenn er mich schlafend glaubte, herausnahm und betrachtete, als gäbe sie auf alles eine Antwort – oder beinahe auf alles.
    Noch jahrelang kehrte ich zum Eingang dieses Warenhauses zurück, um sie auszuspionieren. Nie brachte ich den Mut auf, hineinzugehen oder sie anzusprechen, wenn sie herauskam und ich sie die Ramblas hinunter davongehen sah, zu einer Familie, so malte ich mir aus, die sie glücklich machte, und einem Sohn, der ihrer Zuneigung und der Berührung ihrer Haut würdiger war als ich. Der Vater erfuhr nie, dass ich bisweilen verschwand, um sie zu beobachten, oder ihr an manchen Tagen dichtauf folgte, immer kurz davor, ihre Hand zu ergreifen und mit ihr zu gehen, und dann doch im letzten Moment die Flucht ergriff. In meiner Welt existierten die großen Erwartungen nur zwischen Buchdeckeln.
    Das vom Vater so ersehnte Glück kam nie. Die einzige nette Geste, die das

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