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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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lachend an mir vorbei und nahmen keine Notiz von mir. Ich versuchte die Silhouette des Unbekannten unter ihnen auszumachen. Ich wusste, dass er da war, vielleicht nur wenige Meter entfernt, und dass er mich beobachtete. Nach einer Weile überquerte ich die Straße und trat in ein enges, überfülltes Café. Ich konnte mich zur Theke durcharbeiten und dem Kellner ein Zeichen geben.
    »Was soll’s sein?«
    Mein Mund war ausgetrocknet und rau wie Sand. »Ein Bier.«
    Während er es zapfte, beugte ich mich vor. »Sagen Sie, wissen Sie, ob das Lokal gegenüber, ›Die Träumerei‹, geschlossen hat?«
    Der Kellner stellte das Glas auf die Theke und schaute mich an, als wäre ich nicht ganz bei Trost.
    »Es hat vor fünfzehn Jahren geschlossen«, sagte er. »Sind Sie sicher?«
    »Aber natürlich. Nach dem Brand haben sie nicht wieder aufgemacht. Wünschen Sie sonst noch was?« Ich schüttelte den Kopf. »Vier Céntimos.«
    Ich bezahlte die Zeche und ging, ohne das Glas angerührt zu haben.
    Am nächsten Tag ging ich früh in die Redaktion und stieg direkt in den Keller zu den Archiven hinab. Den Angaben von Matías, dem Leiter der Dokumentation, und des Kellners folgend, begann ich die Titelseiten der Stimme der Industrie von vor fünfzehn Jahren durchzugehen. Nach vierzig Minuten hatte ich die Geschichte gefunden, eine kleine Notiz. Der Brand hatte sich am frühen Morgen des Fronleichnamstages 1903 ereignet. Sechs Personen waren den Flammen zum Opfer gefallen: ein Kunde, vier Frauen der Belegschaft und ein kleines Mädchen, das ebenfalls dort gearbeitet hatte. Polizei und Feuerwehr hatten als Ursache der Tragödie eine schadhafte Petroleumlampe angegeben, doch der Gemeindevorstand einer nahen Pfarrei führte göttliche Vergeltung und das Eingreifen des Heiligen Geistes als entscheidende Faktoren ins Feld.
    Wieder in der Pension, legte ich mich in meinem Zimmer aufs Bett und versuchte einzuschlafen, jedoch vergeblich. Ich zog die Karte des fremden Wohltäters, die ich nach dem Erwachen auf Chloés Bett in meinen Händen gefunden hatte, aus der Tasche und las im Halbdunkel noch einmal die handschriftlichen Worte auf der Rückseite. Große Erwartungen .
     

 5
    In meiner Welt wurden Erwartungen, ob groß oder klein, nur selten erfüllt. Noch wenige Monate zuvor hatte meine einzige Sehnsucht beim Schlafengehen darin bestanden, eines Tages den nötigen Mut aufzubringen, Cristina, die Tochter des Fahrers meines Mentors, anzusprechen, und dass die Stunden bis zum Morgengrauen rasch verfliegen möchten, damit ich wieder in die Redaktion gehen konnte. Jetzt begann ich auch diesen Zufluchtsort zu verlieren. Vielleicht könnte ich, wenn ich bei einem meiner Artikel grandios scheiterte, die Zuneigung meiner Kollegen zurückgewinnen, sagte ich mir. Vielleicht würden mir, wenn ich etwas Mittelmäßiges, Abwegiges schriebe, bei dem kein Leser über den ersten Absatz hinauskam, meine Jugendsünden verziehen. Vielleicht war das kein zu hoher Preis dafür, sich wieder zuhause zu fühlen. Vielleicht.
    In die Redaktion der Stimme der Industrie war ich viele Jahre zuvor an der Hand meines Vaters gekommen, eines gepeinigten, glücklosen Mannes, der sich nach der Rückkehr aus dem Krieg um die Philippinen in einer Stadt wiederfand, in der ihn niemand mehr kennen wollte, mit einer Frau, die ihn bereits vergessen hatte und ihn zwei Jahre später ganz verließ. Ihre Hinterlassenschaft bestand aus einem gebrochenen Herzen und einem Sohn, den er nie gewollt hatte und mit dem er nichts anzufangen wusste. Mein Vater, der mit knapper Not seinen Namen lesen und schreiben konnte, hatte weder Beruf noch Geld. Das Einzige, was er im Krieg gelernt hatte, war, andere Männer zu töten, ehe sie ihn töteten, immer im Namen einer ebenso eitlen wie großartigen Sache, die sich als desto fadenscheiniger und niederträchtiger erwies, je näher man dem Gefecht rückte.
    Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg suchte mein Vater, der um zwanzig Jahre gealtert zu sein schien, eine Anstellung in den vielen Betrieben des Pueblo Nuevo und des Sant-Marti-Viertels. Er behielt keine Stelle länger als einige Tage, und dann sah ich ihn mit grollverzerrter Miene nach Hause kommen. Mangels Alternativen übernahm er nach einiger Zeit den Posten des Nachtwächters in der Stimme der Industrie. Das Gehalt war zwar bescheiden, aber die Monate vergingen, und zum ersten Mal nach seiner Rückkehr schien er in keine Scherereien zu geraten. Der Friede war von kurzer Dauer. Einige

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