Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
vor der Tür zu vernehmen, im Glauben, Cristina würde zu mir zurückkommen, sobald sie von Señor Semperes Tod erfuhr, und sei es nur aus Mitleid, was mir mittlerweile schon genügt hätte. Eine knappe Woche nach dem Tod des Buchhändlers, als mir klar geworden war, dass sie nicht zurückkehren würde, begann ich wieder in den Turm hinaufzugehen. Ich holte das Manuskript aus der Truhe und las es durch, wobei ich jeden Satz und jeden Absatz genoss. Die Lektüre erfüllte mich gleichermaßen mit Ekel wie mit einer dunklen Befriedigung. Bei dem Gedanken an die hunderttausend Francs, die mir anfänglich wie ein Vermögen erschienen waren, sagte ich mir mit einem Lächeln, dass mich dieser Hurensohn zu einem sehr billigen Preis gekauft hatte. Die Eitelkeit überlagerte die Bitterkeit, und der Schmerz schloss die Tür zum Gewissen. In einem Akt des Hochmuts las ich Lux Aeterna, das Werk meines Vorgängers, Diego Marlasca, und warf es dann ins Kaminfeuer. Wo er gescheitert war, würde ich triumphieren. Wo er auf Abwege geraten war, würde ich den Ausgang aus dem Labyrinth finden.
Am siebten Tag nahm ich die Arbeit wieder auf. Ich wartete, bis es Mitternacht war, und setzte mich dann an den Schreibtisch, ein weißes Blatt in der Walze der alten Underwood und die schwarze Stadt vor den Fenstern. Meinen Händen entströmten Worte und Bilder, als hätten sie im Gefängnis meines Herzens wütend darauf gewartet. Die Seiten ergossen sich ohne Gewissen und Maß, ohne weitere Absicht, als Sinne und Gedanken zu verhexen und zu vergiften. Längst dachte ich nicht mehr an den Patron, seine Belohnung oder seine Forderungen. Zum ersten Mal in meinem Leben schrieb ich für mich und für niemanden sonst. Ich schrieb, um die Welt in Brand zu stecken und mit ihr zu verbrennen. Jede Nacht arbeitete ich so lange, bis ich vor Erschöpfung zusammenbrach. Ich hämmerte auf die Tasten ein, dass meine Finger bluteten und das Fieber mir den Blick vernebelte.
An einem Januarmorgen, als mir längst jedes Zeitgefühl abhandengekommen war, hörte ich es an der Tür klopfen. Ich lag im Bett, in den Anblick der alten Fotografie verloren, auf der Cristina als kleines Mädchen an der Hand eines Fremden einen Steg entlang in ein Meer aus Licht hinausschritt, dieses Bild, das mir mittlerweile als das einzig Gute erschien, das mir noch geblieben war, der Schlüssel zu sämtlichen Geheimnissen. Mehrere Minuten lang reagierte ich nicht auf das Klopfen, bis ich die Stimme erkannte und mir klar war, dass die Besucherin nicht aufgeben würde.
»Machen Sie schon auf, verdammt noch mal. Ich weiß, dass Sie da sind, und werde nicht gehen, bevor Sie die Tür aufmachen, oder ich schlage sie ein.«
Als ich öffnete, wich Isabella einen Schritt zurück und starrte mich entsetzt an.
»Ich bin’s, Isabella.«
Sie drängte mich beiseite und eilte direkt in die Veranda, wo sie die Fenster aufriss. Dann ließ sie Wasser in die Badewanne. Sie nahm mich am Arm und zog mich ins Bad. Dort befahl sie mir, mich auf den Wannenrand zu setzen, hob meine Lider und sah mir mit einem Kopfschütteln in die Augen. Wortlos begann sie mir das Hemd auszuziehen.
»Isabella, ich mag jetzt nicht.«
»Was sind denn das für Schnitte? Was haben Sie sich angetan?«
»Nur ein paar Kratzer.«
»Ich will, dass ein Arzt Sie untersucht.«
»Nein.«
»Wagen Sie mir nicht zu widersprechen«, antwortete sie streng. »Und jetzt setzen Sie sich in diese Wanne und machen Sie Gebrauch von Wasser und Seife, und danach rasieren Sie sich. Sie haben zwei Möglichkeiten: Entweder machen Sie es selbst, oder ich mache es. Und glauben Sie nicht, dass ich mich nicht traue.«
Ich lächelte.
»Das weiß ich schon.«
»Tun Sie, was ich Ihnen sage. Unterdessen hole ich einen Arzt.«
Ich wollte noch etwas entgegnen, aber sie brachte mich mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Kein weiteres Wort. Wenn Sie meinen, Sie sind der Einzige, dem die Welt Schmerz zufügt, dann täuschen Sie sich. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, wie ein Hund zu verrecken, dann seien Sie wenigstens so anständig, zu bedenken, dass es uns anderen etwas ausmacht, obwohl ich wahrlich nicht weiß, warum.« »Isabella …«
»Ins Wasser. Und tun Sie mir den Gefallen, Hose und Unterhose auszuziehen.«
»Ich weiß, wie man ein Bad nimmt.« »Wer hätte das gedacht.«
Während Isabella einen Arzt holte, beugte ich mich ihren Befehlen und unterzog mich meiner Kaltwasser-und Seifentaufe. Seit der Beerdigung hatte ich mich nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher