Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
allerdings auch nicht häufig – ich bin fast die ganze Zeit in der Buchhandlung.«
»Und Sempere? Wie kommt er mit dem Tod seines Vaters zurecht?«
»Nicht sehr gut.«
»Und du, wie kommst du mit ihm zurecht?«
»Er ist ein guter Mensch.«
Sie schwieg lange mit gesenktem Kopf.
»Er hat mich gebeten, ihn zu heiraten«, sagte sie schließlich. »Vor zwei Tagen, im Quatre Gats.«
Ich betrachtete ihr Profil, das gefasst wirkte und nichts von der jugendlichen Unschuld besaß, die ich in ihr hatte sehen wollen und die es wahrscheinlich nie gegeben hatte. »Und?«
»Ich habe gesagt, ich würde es mir überlegen.«
»Und wirst du es tun?«
Isabella starrte in den Brunnen.
»Er hat gesagt, er wolle eine Familie gründen, Kinder haben … Wir würden in der Wohnung über der Buchhandlung leben und diese am Laufen halten, trotz der Bedenken, die Señor Sempere gehabt hatte.«
»Nun ja, du bist noch jung …«
Sie wandte mir den Kopf zu und schaute mich an.
»Liebst du ihn denn?«
Sie lächelte unendlich traurig.
»Was weiß denn ich. Ich glaube schon, aber nicht so sehr, wie er mich zu lieben glaubt.«
»In einer schwierigen Lage kann man manchmal Mitleid mit Liebe verwechseln«, sagte ich.
»Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen.«
»Ich bitte dich ja nur, dir etwas Zeit zu lassen.«
Wir schauten uns an, in dieses grenzenlose Einvernehmen gehüllt, das keiner Worte mehr bedurfte, und ich umarmte sie.
»Freunde?«
»Bis dass der Tod uns scheidet.«
4
Auf dem Heimweg machten wir in einem Lebensmittelladen in der Calle Comercio halt, um Milch und Brot zu kaufen. Isabella sagte, sie werde ihren Vater bitten, mir ein Paket auserwählter Delikatessen zu schicken, und sie rate mir dringend, alles aufzuessen.
»Wie läuft’s denn in der Buchhandlung?«, fragte ich.
»Die Verkäufe sind gewaltig zurückgegangen. Ich glaube, den Leuten tut es weh zu kommen, weil sie dabei an den armen Señor Sempere denken müssen. Und die Zahlen sind nicht sehr gut.«
»Nämlich?«
»Im Minus. In den Wochen, die ich dort arbeite, habe ich die Bilanz durchgesehen und feststellen müssen, dass der selige Señor Sempere eine Katastrophe war. Er hat allen, die kein Geld hatten, Bücher geschenkt. Oder hat sie ausgeliehen und nie zurückbekommen. Er hat Sammlungen aufgekauft, von denen er wusste, dass er sie nicht würde weiterverkaufen können, weil die Besitzer sie schon längst verbrennen oder wegwerfen wollten. Mit Almosen unterhielt er eine Reihe bettelarme Dichterlinge. Den Rest können Sie sich in etwa ausmalen.«
»Tauchen denn Gläubiger auf?«
»So ungefähr zweimal pro Tag, die Briefe und Mahnungen der Bank nicht mitgerechnet. Die gute Nachricht ist, dass es uns nicht an Angeboten fehlt.«
»An Kaufangeboten?«
»Zwei Metzger aus Vic sind sehr interessiert an dem Ladenlokal.«
»Und was meint der junge Sempere dazu?«
»Dass man aus allem etwas machen kann. Realismus ist nicht seine Stärke. Er sagt, wir würden es schon schaffen, ich solle Vertrauen haben.«
»Und hast du keins?«
»Ich vertraue der Arithmetik, und wenn ich rechne, sehe ich, dass das Schaufenster der Buchhandlung in zwei Monaten voller Schinken und Bratwürste ist.«
»Wir werden schon eine Lösung finden.«
Isabella lächelte.
»Ich habe gehofft, dass Sie das sagen. Und wenn wir schon von offenen Rechnungen sprechen, sagen Sie mir, dass Sie nicht mehr für den Patron arbeiten.«
Ich zeigte ihr die offenen Hände.
»Ich bin wieder ein freier Schriftsteller«, sagte ich.
Sie kam mit mir die Treppe hinauf, und als ich mich von ihr verabschieden wollte, sah ich, dass sie zögerte.
»Was ist?«, fragte ich.
»Eigentlich wollte ich es Ihnen nicht sagen, aber … Es ist mir lieber, Sie erfahren es von mir als von jemand anderem. Es betrifft Señor Sempere.«
Wir traten in die Wohnung und setzten uns in der Veranda vor das Feuer, das Isabella mit ein paar Holzstücken neu anfachte. Die Asche von Marlascas Lux Aeterna, lag noch darin, und meine ehemalige Assistentin warf mir einen Blick zu, den man hätte einrahmen sollen.
»Was wolltest du mir von Sempere erzählen?« »Ich weiß es von Don Anacleto, einem der Nachbarn im Haus. Er hat mir erzählt, er habe Señor Sempere an dem Abend, an dem er gestorben ist, mit jemandem im Laden streiten sehen. Er sei nach Hause gekommen, und man habe den Wortwechsel bis auf die Straße hinaus gehört.«
»Und mit wem hat er sich gestritten?«
»Mit einer Frau, einer schon etwas
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