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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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ballte die Hände zur Faust. Er lag auf einem Tisch, die Hände auf dem Bauch gekreuzt. Seine Haut war weiß wie Papier, und die Gesichtszüge wirkten eingefallen, als wären sie aus Karton. Seine Augen waren noch geöffnet. Mir blieb die Luft weg, und etwas schien an meine Magenwände zu hämmern. Ich stützte mich auf den Tisch und atmete durch. Dann beugte ich mich über ihn und schloss ihm die Augen. Ich streichelte seine schon kalte Wange und sah mich um, betrachtete diese Welt aus Buchseiten und Träumen, die er geschaffen hatte. Ich stellte mir vor, er wäre noch da, inmitten seiner Bücher und Freunde. Als ich Schritte hinter mir hörte, wandte ich mich um und sah Barceló in Begleitung zweier Männer in Schwarz mit düsterem Gesicht, an deren Beruf kein Zweifel bestand.
    »Diese Herren sind vom Bestattungsinstitut«, sagte Barceló.
    Die beiden erwiderten seinen Gruß mit einem Nicken und professionellem Ernst und traten dann zum Leichnam, um ihn zu untersuchen. Einer von ihnen, ein großer hagerer Mann, nahm eine umfassende Einschätzung vor und sagte etwas zu seinem Kollegen, der die Angaben mit einem Nicken in ein Notizbuch eintrug.
    »Die Beerdigung soll morgen Nachmittag auf dem Ostfriedhof stattfinden«, sagte Barceló. »Ich habe das Ganze lieber gleich selber in die Hand genommen – der Sohn ist am Boden zerstört, wie Sie sehen. Und je eher solche Dinge …«
    »Danke, Don Gustavo.«
    Der Buchhändler warf einen Blick auf seinen alten Freund und lächelte mit Tränen in den Augen.
    »Und was sollen wir jetzt tun, nachdem uns der Alte allein gelassen hat?«, fragte er.
    »Ich weiß es nicht …«
    Einer der Angestellten des Bestattungsinstituts räusperte sich diskret, um sich Gehör zu verschaffen.
    »Wenn Sie einverstanden sind, holen mein Kollege und ich jetzt den Sarg und …«
    »Tun Sie, was Sie tun müssen«, unterbrach ich ihn.
    »Haben Sie hinsichtlich der Letzten Dinge eine bestimmte Vorstellung?«
    Verständnislos sah ich ihn an.
    »War der Verstorbene gläubig?«
    »Señor Sempere glaubte an die Bücher«, sagte ich.
    »Verstehe.« Er zog sich zurück.
    Ich schaute Barceló an, der die Achseln zuckte.
    »Lassen Sie, ich werde den Sohn fragen«, sagte ich.
    Ich ging nach vorn in die Buchhandlung. Isabella, die noch immer neben dem jungen Sempere kniete, warf mir einen fragenden Blick zu, stand auf und trat zu mir. Ich legte ihr flüsternd das Problem dar.
    »Señor Sempere war ein guter Freund des Pfarrers von nebenan, von der Kirche Santa Ana. Man munkelt, in der Erzdiözese wollen sie den Pfarrer seit Jahren rauswerfen, weil er zu aufsässig ist, aber weil er schon so alt ist, haben sie beschlossen zu warten, bis er stirbt, sie kommen sowieso nicht gegen ihn an.«
    »Das ist unser Mann«, sagte ich.
    »Ich werde mit ihm sprechen«, sagte Isabella.
    Ich deutete auf den jungen Sempere.
    »Wie geht es ihm?«
    Isabella schaute mir in die Augen.
    »Und Ihnen?«
    »Mir geht es gut«, schwindelte ich. »Wer wird diese Nacht bei ihm bleiben?«
    »Ich«, sagte sie ohne jedes Zögern.
    Ich nickte und küsste sie auf die Wange, bevor ich wieder nach hinten ging. Dort hatte sich Barceló vor seinen alten Freund gesetzt, und während die beiden Bestatter Maß nahmen und nach Anzug und Schuhen fragten, schenkte er zwei Gläser Brandy ein und reichte mir eines. Ich setzte mich zu ihm.
    »Auf das Wohl des lieben Sempere, der uns allen das Lesen, wenn nicht das Leben beigebracht hat«, sagte er.
    Wir stießen an und tranken schweigend und blieben dort sitzen, bis die Männer mit dem Sarg und den Kleidern kamen, in denen Sempere beerdigt werden sollte.
    »Wenn es Ihnen recht ist, kümmern wir uns darum«, schlug der aufgewecktere der beiden vor. Ich stimmte zu. Bevor ich wieder nach vorn ging, legte ich Sempere das alte Exemplar von Große Erwartungen, das ich mir nie wiedergeholt hatte, in die Hände.
    »Für die Reise«, sagte ich.
    Nach einer Viertelstunde kamen die beiden Bestatter mit dem Sarg aus dem Hinterzimmer und deponierten ihn auf einem großen Tisch, der mitten in der Buchhandlung vorbereitet worden war. Auf der Straße hatte sich eine Menschenmenge versammelt und wartete in tiefem Schweigen. Ich öffnete die Tür. Einer nach dem anderen traten die Freunde von Sempere und Söhne in den Laden, um den Buchhändler zu sehen. Manche konnten die Tränen nicht zurückhalten, und bei diesem Anblick nahm Isabella den Sohn an der Hand und brachte ihn in die Wohnung über der Buchhandlung, in der er

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