Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
des Sanatoriumsgeländes und ohne weißen Kittel wirkte Dr. Sanjuán entspannter und freundlicher.
»Ohne Ihre Kluft hätte ich Sie beinahe nicht erkannt«, sagte ich.
»In der Medizin ist es wie in der Armee. Ohne Uniform ist man ein Nichts. Wie geht es Ihnen?«
»Gut. Ich habe schon schlimmere Tage erlebt.«
»Hm. Ich habe Sie vorhin vermisst, als ich wieder ins Büro kam, um Sie zu holen.«
»Ich musste etwas frische Luft schnappen.«
»Verstehe. Aber eigentlich habe ich darauf gezählt, dass Sie weniger leicht zu beeindrucken wären.«
»Warum?«
»Weil ich Sie brauche. Besser gesagt, Cristina braucht Sie.«
»Sie halten mich bestimmt für einen Feigling«, sagte ich ein wenig verlegen.
Der Arzt schüttelte den Kopf.
»Wie lange geht es ihr schon so?«
»Seit Wochen. Praktisch seit sie hergekommen ist. Mit der Zeit hat sich ihr Zustand noch verschlimmert.«
»Weiß sie, wo sie ist?« Er zuckte die Schultern. »Das ist schwer zu beurteilen.« »Was ist mit ihr geschehen?« Dr. Sanjuán seufzte.
»Vor vier Wochen hat man sie nicht weit von hier aufgefunden, auf dem Dorffriedhof, wo sie auf dem Grabstein ihres Vaters lag. Sie litt an Unterkühlung und delirierte. Man hat sie ins Sanatorium gebracht – ein Zivilgardist hat sie erkannt, weil sie letztes Jahr mehrere Monate hier verbrachte, als sie ihren Vater besuchte. Viele Leute im Dorf kannten sie. Wir haben sie hierbehalten, und sie stand zwei Tage unter Beobachtung. Sie hatte viel Flüssigkeit verloren und möglicherweise seit Tagen nicht mehr geschlafen. Zeitweise kam sie wieder zu Bewusstsein. In solchen Momenten hat sie von Ihnen gesprochen. Sie sagte, Sie seien in großer Gefahr. Ich musste schwören, niemanden zu benachrichtigen, weder ihren Mann noch sonst jemand, bis sie es selbst tun könnte.«
»Trotzdem – warum haben Sie Vidal nicht über das informiert, was geschehen ist?«
»Ich hätte es getan, aber … Sie werden es absurd finden.«
»Was denn?«
»Ich war der Überzeugung, dass sie auf der Flucht war, und dachte, es sei meine Pflicht, ihr zu helfen.« »Auf der Flucht vor wem?«
»Ich bin nicht sicher«, sagte er mit einem unbestimmbaren Ausdruck.
»Was verschweigen Sie mir, Doktor?« »Ich bin ein einfacher Arzt. Es gibt Dinge, die ich nicht verstehe.« »Was für Dinge?« Er lachte nervös.
»Cristina glaubt, etwas – oder jemand – sei in sie gefahren und wolle sie vernichten.« »Wer?«
»Ich weiß nur, dass sie glaubt, es habe mit Ihnen zu tun und es sei jemand oder etwas, was Ihnen Angst macht. Aus diesem Grund denke ich, dass ihr niemand anders helfen kann. Darum habe ich auch Vidal nicht benachrichtigt, wie es meine Pflicht gewesen wäre. Ich wusste, dass Sie früher oder später hier auftauchen würden.«
Er sah mich mit einer seltsamen Mischung aus Mitleid und Groll an.
»Auch ich schätze sie, Señor Martín. In den Monaten, die Cristina hier bei ihrem Vater verbracht hat … sind sie und ich schließlich gute Freunde geworden. Vermutlich hat sie Ihnen nichts von mir erzählt, und möglicherweise hatte sie auch keine Veranlassung dazu. Es war eine sehr schwierige Zeit für sie. Sie hat mir vieles anvertraut, so wie ich ihr, Dinge, die ich sonst niemandem gesagt habe. Ich habe ihr sogar die Ehe angetragen – nur damit Sie wissen, dass auch wir Ärzte hier ein wenig verrückt sind. Natürlich hat sie mich abgewiesen. Ich weiß auch nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle.«
»Sie wird aber wieder gesund werden, Doktor, nicht wahr? Sie wird sich erholen …«
Er wandte den Blick ab und schaute mit traurigem Lächeln ins Feuer.
»Das hoffe ich«, antwortete er. »Ich will sie mitnehmen.« Er hob die Brauen. »Mitnehmen? Wohin?« »Nach Hause.«
»Señor Martín, gestatten Sie mir, offen zu reden. Abgesehen davon, dass Sie kein direkter Angehöriger und noch weniger der Ehemann der Patientin sind, was ganz einfach ein gesetzliches Erfordernis wäre, ist Cristina nicht in der Lage, mit irgendwem irgendwohin zu gehen.«
»Geht es ihr hier bei Ihnen besser, eingeschlossen in diesem alten Kasten, an einen Stuhl gefesselt und unter Drogen gesetzt? Sagen Sie nicht, Sie hätten ihr wieder die Ehe angetragen.«
Er sah mich lange an und schluckte die Kränkung hinunter, die meine Worte zweifellos für ihn bedeuteten.
»Señor Martín, ich freue mich, dass Sie hier sind, denn ich glaube, gemeinsam werden wir Cristina helfen können. Ich glaube, Ihre Anwesenheit wird ihr gestatten, den Ort zu verlassen, an den sie
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