Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
Wahrheit sagen und mir verraten, was Sie hier suchen.«
Ich nickte mit einem Seufzer. Ich war nicht hundertfünfzig Kilometer weit gefahren, um zu lügen.
»Mein Name ist Martín, David Martín. Ich bin ein Freund von Cristina Sagnier.«
»Hier nennen wir sie Señora Vidal.« »Es ist mir egal, wie Sie sie nennen. Ich will sie sehen. Jetzt.«
Der Arzt seufzte.
»Sind Sie der Schriftsteller?«
Ungeduldig stand ich auf.
»Was ist das für ein Ort? Warum kann ich sie nicht endlich sehen?«
»Setzen Sie sich bitte. Tun Sie mir den Gefallen.«
Er deutete auf den Stuhl und wartete, bis ich mich wieder hingesetzt hatte.
»Darf ich fragen, wann Sie sie zum letzten Mal gesehen oder mit ihr gesprochen haben?«
»Das muss vor etwas über einem Monat gewesen sein. Warum?«
»Wissen Sie, ob jemand sie nach Ihnen gesehen oder mit ihr gesprochen hat?«
»Nein, das weiß ich nicht. Was ist hier eigentlich los?«
Er legte die rechte Hand an die Lippen und suchte nach den angemessenen Worten.
»Señor Martín, ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten.«
Ich spürte, wie sich mein Magen zu einem Knoten ballte.
»Was ist ihr zugestoßen?«
Er schaute mich wortlos an, und zum ersten Mal glaubte ich in seinem Blick einen Anflug von Zweifel zu erkennen.
»Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich.
Wir durchschritten einen kurzen, von Metalltüren gesäumten Gang. Dr. Sanjuán ging mit einem Schlüsselbund in der Hand voran. Hinter den Türen glaubte ich ein Flüstern zu hören, das von Lachen oder Weinen erstickt wurde, als wir vorbeigingen. Der Raum befand sich am Ende des Korridors. Der Arzt schloss die Tür auf, blieb auf der Schwelle stehen und sah mich ausdruckslos an. »Eine Viertelstunde«, sagte er.
Ich trat ein und hörte ihn hinter mir abschließen. Vor mir lag ein Raum mit hoher Decke und weißen Wänden, die sich in einem blitzblanken Fliesenboden spiegelten. Auf der einen Seite stand hinter einem Gazevorhang ein leeres Bett mit Metallgestell. Durch ein großes Fenster sah man den verschneiten Park, die Bäume und in einiger Entfernung den See. Erst als ich ein paar Schritte in den Raum hineinging, bemerkte ich sie.
Sie saß in einem Sessel vor dem Fenster, trug ein weißes Nachthemd und hatte das Haar zu einem Zopf geflochten. Ich ging um den Sessel herum und sah sie an. Ihre Augen blieben unbeweglich. Als ich neben ihr niederkniete, blinzelte sie nicht einmal. Ich legte die Hand auf ihre, und kein Muskel in ihrem Körper rührte sich. Da sah ich die Verbände um ihre Arme, zwischen Handgelenk und Ellbogen, und die Gurte, mit denen sie am Sessel festgebunden war. Ich streichelte ihre Wange und fing eine Träne auf.
»Cristina«, flüsterte ich.
Ihr Blick hing im Nirgendwo, nahm mich nicht wahr. Ich rückte einen Stuhl heran und setzte mich ihr gegenüber.
»Ich bin’s, David.«
Eine Viertelstunde lang blieben wir so sitzen, schweigend, ihre Hand in meiner, ihr Blick verloren und meine Worte ohne Antwort. Irgendwann hörte ich die Tür aufgehen und spürte, dass mich jemand sanft am Arm fasste und hochzog. Dr. Sanjuán. Widerstandslos ließ ich mich auf den Gang hinausführen. Er schloss die Tür ab und begleitete mich in das eisige Büro zurück. Dort sackte ich auf dem Stuhl zusammen und schaute ihn an, unfähig, etwas zu sagen.
»Möchten Sie, dass ich Sie einige Minuten allein lasse?«, fragte er.
Ich bejahte. Beim Hinausgehen lehnte er die Tür an. Ich schaute auf meine rechte Hand, die zitterte, und ballte sie zur Faust. Ich spürte kaum noch die Kälte im Raum und nahm die Schreie und Stimmen, die durch die Wände drangen, nicht mehr richtig wahr. Ich wusste nur, dass ich keine Luft bekam und hier wegmusste.
8
Dr. Sanjuán fand mich im Speisesaal des Hotels del Lago vor dem Feuer und einem Teller, den ich nicht angerührt hatte. Außer mir war nur noch ein Zimmermädchen anwesend, das von einem unbesetzten Tisch zum nächsten ging und mit einem Tuch das Besteck auf Hochglanz brachte. Vor den Fenstern war tiefe Nacht, und der Schnee fiel bedächtig wie blauer Glasstaub. Mit einem Lächeln trat der Arzt an meinen Tisch.
»Ich habe vermutet, Sie hier zu treffen. Alle Fremden landen hier. Auch ich habe hier meine erste Nacht im Dorf verbracht, als ich vor zehn Jahren anreiste. Welches Zimmer hat man Ihnen denn gegeben?«
»Angeblich das Lieblingszimmer der Frischvermählten, mit Blick auf den See.«
»Glauben Sie das nicht. Das sagen sie von allen Zimmern.«
Außerhalb
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