Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
zwei Nächte, die ich im Voraus bezahlte. Der Portier ließ mich wissen, dass das Hotel praktisch leer stand, sodass ich mir das Zimmer aussuchen konnte.
»Nr. 101 bietet bei Tagesanbruch eine spektakuläre Aussicht auf den See«, sagte er. »Aber wenn Sie die Aussicht nach Norden bevorzugen, habe ich …«
»Wählen Sie«, unterbrach ich ihn, da mir die erhabene Schönheit dieser Dämmerlandschaft egal war.
»Dann die Nr. 101. In der Sommersaison das Lieblingszimmer der Frischvermählten.«
Er reichte mir die Schlüssel zu der angeblichen Hochzeitssuite und nannte mir die Zeiten für das Abendessen. Ich sagte, ich werde später zurückkommen, und fragte, ob es weit sei bis zur Villa San Antonio. Er setzte dieselbe Miene auf wie der Bahnhofsvorsteher und schüttelte dann freundlich lächelnd den Kopf.
»Sie ist ganz in der Nähe, nur zehn Minuten von hier. Wenn Sie die Promenade am Ende dieser Straße nehmen, werden Sie die Villa an deren Ende bereits sehen. Sie ist nicht zu verfehlen.«
Zehn Minuten später stand ich vor dem Tor eines großen Parks, der mit eingeschneitem Laub bedeckt war. In einiger Entfernung stand, ins goldene Licht ihrer Fenster gehüllt und einer Schildwache gleich, die Villa San Antonio. Ich durchquerte den Park, während mir das Herz bis zum Hals schlug und mir trotz der schneidenden Kälte die Hände schwitzten. Ich stieg die Treppe zum Haupteingang hinauf. Die große Vorhalle war im Schachbrettmuster gefliest und führte zu einer breiten Treppe. Auf dieser sah ich eine junge Krankenschwester mit einem Tattergreis an der Hand, der eine Ewigkeit zwischen zwei Stufen zu verharren schien, als sei sein ganzes Leben in einem Atemzug gefangen.
»Guten Abend«, sagte eine Stimme zu meiner Rechten.
Sie hatte schwarze, ernste Augen, Gesichtszüge ohne jede Spur von Mitgefühl und die nüchterne Miene eines Menschen, der gelernt hat, nichts als schlechte Nachrichten zu erwarten. Sie musste um die fünfzig sein, und obwohl sie die gleiche Uniform trug wie die junge Krankenschwester mit dem Greis, strahlte alles an ihr Autorität und Rang aus.
»Guten Abend. Ich suche jemanden mit dem Namen Cristina Sagnier. Ich habe Grund zur Annahme, dass sie hier logiert …«
Sie schaute mich an, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Hier logiert niemand, mein Herr. Das ist weder ein Hotel noch ein Gästehaus.«
»Entschuldigen Sie. Ich habe eine lange Reise gemacht, um diese Person zu besuchen …«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte die Schwester. »Darf ich fragen, ob Sie ein Angehöriger oder Verwandter sind?«
»Mein Name ist David Martín. Ist Cristina Sagnier hier? Bitte …«
Ihr Ausdruck wurde weicher. Dann folgten die Andeutung eines freundlichen Lächelns und ein Nicken. Ich atmete durch.
»Ich bin Teresa, die Oberschwester der Nachtschicht. Wenn Sie so freundlich sein wollen, mir zu folgen, Señor Martín, werde ich Sie zum Büro von Dr. Sanjuán führen.«
»Wie geht es Señorita Sagnier? Kann ich sie sehen?«
Wieder das leichte, undurchdringliche Lächeln.
»Hier entlang, bitte.«
Der Raum war ein fensterloses Rechteck mit blau gestrichenen Wänden, in dem zwei Deckenlampen ein metallisches Licht verbreiteten. Ein nackter Tisch und zwei Stühle waren die einzigen Einrichtungsgegenstände. Er roch nach Desinfektionsmitteln, und es war kalt darin. Die Schwester hatte ihn Büro genannt, aber nach zehn Minuten einsamen Wartens auf einem der Stühle sah ich in ihm nur noch eine Zelle. Die Tür war geschlossen, aber trotzdem hörte man Stimmen, vereinzelte Schreie zwischen den Mauern. Ich verlor bereits das Gefühl dafür, wie lange ich mich schon hier befand, als die Tür aufging und ein Mann zwischen dreißig und vierzig Jahren in weißem Kittel und mit einem Lächeln so eiskalt wie der Raum eintrat. Dr. Sanjuán, vermutete ich. Er ging um den Tisch herum und nahm auf dem Stuhl mir gegenüber Platz. Dann legte er die Hände auf den Tisch und schaute mich einige Sekunden mit vager Neugier an, bevor er den Mund aufmachte.
»Ich bin mir darüber im Klaren, dass Sie eine lange Reise hinter sich haben und sicher müde sind, aber ich möchte gern wissen, warum Señor Vidal nicht hier ist«, sagte er schließlich.
»Er konnte nicht kommen.«
Er schaute mich ungerührt an und wartete. Sein Blick war frostig, und er hatte den speziellen Ausdruck von Leuten, die weder hören noch zuhören.
»Kann ich sie sehen?«
»Sie können niemanden sehen, wenn Sie mir nicht vorher die
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