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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Ich muss los. Ich wollte Sie bloß warnen.«
    »Um mich brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wenn mich dieser Hurenbock aufsucht, werde ich gewappnet sein. Ich erwarte ihn seit fünfundzwanzig Jahren.«
    Der Bahnhofsvorsteher kündigte mit einem Pfeifen die Abfahrt des Zuges an.
    »Trauen Sie niemandem, hören Sie? Ich melde mich, sobald ich wieder in der Stadt bin.«
    »Danke für den Anruf, Martín. Passen Sie gut auf sich auf.«
     

 7
    Langsam glitt der Zug den Bahnsteig entlang, und ich suchte in meinem Abteil Zuflucht, um mich in meinem Sitz der lauen Wärme der Heizung und dem sanften Rütteln hinzugeben. Nach und nach ließen wir den Wald von Fabriken und Schloten hinter uns und entkamen dem rötlichen Licht des Himmels über der Stadt. Sanft ging die Öde von Depots und Zügen auf Abstellgleisen in eine endlose Ebene von Feldern und Hügeln mit alten Häusern und Türmen, Wäldern und Flüssen über. Zwischen Nebelbänken tauchten Fuhrwerke und Dörfer auf. Kleine Bahnhöfe zogen vorbei, während sich in der Ferne Kirchen und Gehöfte wie Luftspiegelungen abzeichneten.
    Irgendwann schlief ich ein, und als ich wieder erwachte, sah die Landschaft vollkommen anders aus. Wir fuhren durch tiefe Täler zwischen hohen Felswänden vorbei an Seen und Bächen und streiften ausgedehnte Wälder am Fuß endlos scheinender Berghänge. Nach einer Weile weitete sich das Durcheinander von Bergen, Wäldern und in den Fels gebohrten Tunneln zu einem großen, offenen Tal, wo Wildpferdherden über eine schneebedeckte Ebene stürmten und in der Ferne kleine Dörfer mit Häusern aus Stein auszumachen waren. Auf der anderen Seite erhoben sich die Gipfel der Pyrenäen, deren verschneite Hänge in der Abenddämmerung bernsteinfarben glühten. Vor uns drängten sich auf einem Hügel kleine und große Häuser. Der Schaffner streckte den Kopf herein und lächelte mir zu.
    »Nächster Halt Puigcerdà.«
    In einer Dampfwolke, die den ganzen Bahnsteig einhüllte, blieb der Zug stehen. Ich stieg aus und sah mich in den nach Elektrizität riechenden Dunst gehüllt. Gleich darauf hörte ich den Pfiff des Bahnhofsvorstehers, worauf der Zug die Fahrt wieder aufnahm. Während die Wagen an mir vorüberzogen, tauchten um mich herum allmählich die Umrisse des Bahnhofs auf wie eine Fata Morgana. Ich stand allein auf dem Bahnsteig. Unendlich langsam fiel ein feiner Pulverschneevorhang nieder. Durch das Wolkengewölbe blinzelte im Osten eine rötliche Sonne und verwandelte den Schnee in winzige Funken. Ich ging zum Büro des Bahnhofsvorstehers und klopfte an die Scheibe. Er schaute auf, öffnete die Tür und sah mich desinteressiert an.
    »Könnten Sie mir sagen, wie ich zur Villa San Antonio komme?«
    Er hob die Braue.
    »Das Sanatorium?«
    »Ich glaube, ja.«
    Er setzte ein nachdenkliches Gesicht auf, als wäge er ab, wie er einem Fremden den Weg beschreiben sollte, und nachdem er seinen Katalog an Gebärden und Grimassen durchgegangen war, bot er mir folgenden Abriss an:
    »Sie gehen durchs Dorf, über den Platz mit der Kirche und dann bis zum See. Am See stoßen Sie auf eine lange, von alten Häusern gesäumte Allee, die zum Paseo de la Rigolisa führt. Dort, an der Ecke, steht ein großer dreistöckiger Kasten in einem Park. Das ist das Sanatorium.«
    »Und kennen Sie irgendeinen Ort, wo ich ein Zimmer mieten kann?«
    »Unterwegs kommen Sie am Hotel del Lago vorbei. Sagen Sie, der Sebas schickt Sie.«
    »Danke.«
    »Viel Glück.«
    Durch den herabrieselnden Schnee stapfte ich die menschenleeren Straßen des Dorfes entlang und hielt nach dem Kirchturm Ausschau. Ab und zu begegnete ich einem Einheimischen, der mich mit einem Nicken grüßte und misstrauisch musterte. Auf dem Platz zeigten mir zwei junge Burschen, die einen Kohlenwagen abluden, den Weg zum See, und zwei Minuten später bog ich in eine Straße ein, die an einer großen, weißgefrorenen Fläche entlangführte. Mächtige alte Villen mit spitzen Türmen umgaben den See, und eine Promenade mit Bänken und Bäumen zog sich wie ein Band um die Eisfläche herum, in der kleine Ruderboote festsaßen. Ich trat ans Ufer und betrachtete den gefrorenen See vor mir. Die Eisschicht musste etwa eine Handbreit dick sein und glänzte an einigen Stellen wie Rauchglas, sodass man sich das schwarze Wasser unter dem Panzer vorstellen konnte.
    Das Hotel del Lago war ein zweistöckiges, dunkelrot gestrichenes Gebäude direkt am Wasser. Bevor ich meinen Weg fortsetzte, reservierte ich ein Zimmer für

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