Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
Vom Netzwerk:
aufsteigenden modernen Metropole und der Industrie- und Finanzwelt. Die Geschichte wurde von einem Enkel eines der beiden Brüder erzählt, der das Geschehen rekonstruierte, während er 1909 in der »Blutigen Woche« des Separatistenaufstandes von einem Palast in Pedralbes aus die Stadt in Flammen aufgehen sah.
    Als Erstes überraschte mich, dass ich dieselbe Geschichte Vidal zwei Jahre zuvor selbst skizziert hatte, um ihm eine Anregung für seinen angeblich geplanten schwergewichtigen Roman zu geben. Die zweite Überraschung war, dass er mir nie etwas von seinem Entschluss gesagt hatte, diesen Stoff zu benutzen, und doch bereits Jahre darauf verwendet hatte, obwohl es an Gelegenheiten zu einer Mitteilung nicht gemangelt hätte. Zum Dritten überraschte mich schließlich, dass der Roman in seiner jetzigen Form ein monumentales Fiasko darstellte: Nichts daran funktionierte, angefangen bei Personal und Aufbau über Atmosphäre und szenische Ausgestaltung bis hin zu seiner Sprache und dem Stil, die an die Bemühungen eines Dilettanten mit einem Übermaß an Muße und einem überspannten Ehrgeiz erinnerten.
    »Was meinst du?«, fragte Cristina. »Glaubst du, das ist zu retten?«
    Ich mochte ihr nicht sagen, dass Vidal die Grundidee von mir ausgeborgt hatte, und um sie nicht noch besorgter zu machen, nickte ich zuversichtlich.
    »Es erfordert ein wenig Arbeit. Das ist alles.«
    Als es dunkel wurde, setzte sich Cristina an die Maschine, und gemeinsam schrieben wir Vidals Roman Buchstabe für Buchstabe, Zeile für Zeile, Szene für Szene um.
    Die von Vidal konstruierte Handlung war so unklar und geistlos, dass ich mich dafür entschied, meine eigene, seinerzeit skizzierte Fabel zu benutzen. Ganz allmählich brachten wir die Personen wieder auf die Beine, indem wir sie von innen her aufplatzen ließen und von Kopf bis Fuß neu erschufen. Keine einzige Szene, kein Augenblick, keine Zeile und kein Wort überstand diesen Prozess, und doch hatte ich mit fortschreitender Arbeit den Eindruck, wir ließen dem Roman, den Vidal im Herzen trug, Gerechtigkeit widerfahren.
     
    Wie mir Cristina erzählte, las Vidal manchmal Wochen nach dem vermeintlichen Verfassen einer Szene diese in der Reinschrift noch einmal durch und war überrascht über die handwerkliche Raffinesse und die Kraft seines Talents, an das er nicht mehr geglaubt hatte. Sie befürchtete, er könnte uns auf die Schliche kommen, und fand, wir müssten uns stärker an das Original halten.
    »Du darfst die Eitelkeit eines Schriftstellers nie unterschätzen, vor allem eines mittelmäßigen«, antwortete ich.
    »Ich höre dich nicht gern so über Pedro reden.« »Tut mir leid. Ich auch nicht.«
    »Vielleicht solltest du eine etwas gemächlichere Gangart einschlagen. Du siehst nicht gut aus. Um Pedro mache ich mir keine Sorgen mehr – aber um dich, jetzt bist du dran.«
    »Etwas Gutes musste das alles ja mit sich bringen.«
    Mit der Zeit gewöhnte ich mich daran, dass ich nur lebte, um unsere gemeinsamen Stunden zu genießen. Es dauerte nicht lange, bis meine eigene Arbeit darunter zu leiden begann. Ich stahl mir die Zeit für Die Stadt der Verdammten dort, wo es sie nicht gab, schlief kaum noch drei Stunden täglich und schrieb unter Hochdruck, um meine Fristen einzuhalten. Barrido und Escobillas lasen grundsätzlich keine Bücher, weder die von ihnen veröffentlichten noch die der Konkurrenz, hingegen las sie die Giftige, die bald argwöhnte, dass mit mir etwas nicht stimmte.
    »Das bist doch nicht du«, sagte sie manchmal.
    »Natürlich bin das nicht ich, meine liebe Herminia. Das ist Ignatius B. Samson.«
    Ich war mir der Gefahr bewusst, der ich mich ausgesetzt hatte, aber es war mir egal. Es war mir gleichgültig, täglich schweißüberströmt und mit rasendem Herzen zu erwachen, das mir den Brustkorb zu sprengen drohte. Ich hätte einen noch viel höheren Preis bezahlt, um nicht auf die langwierige, heimliche Überarbeitung mit Cristina verzichten zu müssen, die uns zu Verbündeten machte. Ich wusste ganz genau, dass sie es jeden Tag, wenn sie zu mir kam, in meinen Augen las, und ich wusste ganz genau, dass sie nie auf meine Zeichen eingehen würde. In diesem Wettlauf nach nirgendwo gab es weder Zukunft noch große Erwartungen, da gaben wir uns keinen Illusionen hin.
    Manchmal, müde von den Versuchen, ein Schiff wieder flottzumachen, das überall leckte, ließen wir Vidals Manuskript liegen und sprachen über etwas anderes, fern von dieser Nähe, die uns allmählich

Weitere Kostenlose Bücher