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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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so wie mit den Blumen – sowie ich es in den Händen hielt, wusste ich nicht, wohin damit.
    »Ich wollte mich mit dir über Pedro unterhalten«, begann sie. »Aha.«
    »Du bist sein bester Freund. Du kennst ihn. Er spricht von dir wie von einem Sohn. Er liebt dich wie niemanden sonst. Das weißt du ja.«
    »Don Pedro hat mich behandelt wie einen Sohn«, sagte ich. »Ohne ihn und ohne Señor Sempere weiß ich nicht, was aus mir geworden wäre.«
    »Der Grund, warum ich mit dir reden wollte, ist, dass ich mir große Sorgen um ihn mache.«
    »Große Sorgen um ihn?«
    »Du weißt ja, dass ich Vorjahren angefangen habe, als Sekretärin für ihn zu arbeiten. Tatsächlich ist es so, dass Pedro ein großzügiger Mensch ist und wir mit der Zeit gute Freunde geworden sind. Er hat sich meinem Vater und mir gegenüber sehr anständig benommen. Darum tut es mir leid, ihn so zu sehen.«
    »Wie denn?«
    »Es ist dieses verdammte Buch, der Roman, den er schreiben will.«
    »Er treibt ihn schon seit Jahren um.«
    »Seit Jahren macht er ihn zunichte. Ich korrigiere all diese Seiten und tippe sie ab. In den Jahren, da ich seine Sekretärin bin, hat er nicht weniger als zweitausend Seiten vernichtet. Er sagt, er habe kein Talent. Er sei ein Schwindler. Er trinkt ununterbrochen. Manchmal finde ich ihn oben in seinem Arbeitszimmer, betrunken, heulend wie ein Kind …« Ich schluckte.
    »… er sagt, er beneide dich, er möchte sein wie du, die Leute lögen und lobten ihn nur, weil sie etwas von ihm wollten, Geld, Unterstützung, aber er wisse, dass seine Arbeit nicht den geringsten Wert habe. Den anderen gegenüber wahrt er das Gesicht, die Anzüge und all das, ich aber sehe jeden Tag, wie er langsam erlischt. Manchmal habe ich Angst, dass er eine Dummheit macht. Schon lange. Ich habe nichts gesagt, weil ich nicht wusste, mit wem ich sprechen konnte. Ich weiß, wenn er erfahren sollte, dass ich dich aufgesucht habe, bekäme er einen Wutanfall. Er sagt immer: Belästige David nicht mit meinen Angelegenheiten. Er hat sein Leben noch vor sich, und ich bin bereits ein Nichts. Immer sagt er solches Zeug. Entschuldige, dass ich dir das alles erzähle, aber ich wusste nicht, zu wem ich gehen sollte …«
    Wir verfielen in ein langes Schweigen. Ich spürte, wie mich mit Eiseskälte die Gewissheit durchdrang, dass der Mensch, dem ich mein Leben verdankte, in Verzweiflung gestürzt war und ich nicht das Geringste davon gemerkt hatte. So sehr war ich in meine eigene Welt eingeschlossen gewesen.
    »Vielleicht hätte ich nicht kommen sollen.«
    »Doch«, sagte ich. »Du hast gut daran getan.«
    Cristina sah mich mit einem matten Lächeln an, und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, ich sei kein Fremder für sie.
    »Was sollen wir tun?«, fragte sie.
    »Wir werden ihm helfen.«
    »Und wenn er nicht will?«
    »Dann machen wir es eben so, dass er es nicht merkt.«
     

 12
    Nie werde ich herausfinden, ob ich es, wie ich mir einredete, tat, um Vidal zu helfen, oder einfach nur, um unter diesem Vorwand mit Cristina zusammen sein zu können. Wir trafen uns fast jeden Nachmittag im Haus mit dem Turm. Cristina brachte die von Vidal tags zuvor von Hand geschriebenen Seiten mit, die immer von Korrekturen strotzten: Es gab ganze durchgestrichene Absätze, zu allen möglichen und unmöglichen Stellen Anmerkungen und tausendundeinen Versuch, das Unrettbare zu retten. Wir gingen ins Arbeitszimmer hinauf und setzten uns dort auf den Boden. Cristina las die Seiten ein erstes Mal vor, und dann diskutierten wir ausgiebig darüber. Mein Mentor versuchte, so etwas wie eine epische Saga zu schreiben, die sich über drei Generationen einer sich von den Vidals nicht allzu sehr unterscheidenden Barceloneser Dynastie erstreckte. Die Handlung setzte einige Jahre vor der industriellen Revolution mit der Ankunft zweier verwaister Brüder in der Stadt ein und entwickelte sich zu einer Art biblischer Parabel à la Kain und Abel. Mit der Zeit wurde einer der Brüder zum reichsten und mächtigsten Magnaten seiner Zeit, während sich der andere der Kirche und der Fürsorge hingab, um seine Tage mit einer tragischen Episode zu beschließen, die an das Unglück des Priesterdichters Jacint Verdaguer erinnerte. Im Laufe ihres Lebens gerieten die beiden Brüder immer wieder aneinander, und eine endlose Galerie von Personen defilierte durch hitzige Melodramen, Skandale, Morde, verbotene Liebschaften, Tragödien und weitere Requisiten des Genres, und das alles vor dem Hintergrund der

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