Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
das Bewusstsein zu versengen drohte, weil sie derart unter Verschluss gehalten werden musste. Ab und zu nahm ich allen Mut zusammen und ergriff ihre Hand. Sie ließ mich gewähren, aber ich wusste, dass es ihr unangenehm war, dass sie unser Tun nicht für richtig hielt, dass uns die Dankbarkeit, die wir Vidal schuldig waren, gleichzeitig einte und trennte. Eines Abends, kurz bevor sie nach Hause ging, nahm ich ihr Gesicht in die Hände und versuchte sie zu küssen. Sie reagierte nicht, und als ich mich im Spiegel ihres Blicks sah, wagte ich nicht, noch irgendetwas zu sagen. Sie stand auf und ging ohne ein Wort. Zwei Wochen lang sah ich sie nicht mehr, und als sie wiederkam, nahm sie mir das Versprechen ab, dass so etwas nie wieder vorkäme.
»David, du musst begreifen, dass wir uns so wie jetzt nicht mehr weiter sehen werden, wenn die Arbeit an Pedros Buch beendet ist.«
»Warum nicht?«
»Das weißt du ganz genau.«
Meine Avancen waren nicht das Einzige, was Cristina ungern sah. Nach und nach wurde mir zur Gewissheit, dass Vidal recht gehabt hatte, als er gesagt hatte, Cristina missfielen die Bücher, die ich für Barrido und Escobillas schrieb, auch wenn sie es für sich behielt. Ich konnte mir unschwer vorstellen, dass sie mein Tun für seelenloses Söldnertum hielt und fand, ich verkaufte mein Selbst für ein Almosen, um diese beiden Kanalratten reich zu machen, weil ich selbst nicht den Mut aufbrachte, mit dem Herzen, unter meinem eigenen Namen und mit meinen eigenen Gefühlen zu schreiben. Am meisten schmerzte mich, dass sie im Grunde recht hatte. Ich spielte mit der Idee, von meinem Vertrag zurückzutreten, ein Buch ausschließlich für sie zu schreiben, um ihren Respekt zu verdienen. Wenn das Einzige, was ich beherrschte, nicht gut genug für sie war, dann kehrte ich vielleicht besser zu den grauen, elenden Tagen in der Zeitung zurück. Ich würde immer noch von Vidals Nächstenliebe und Gefälligkeiten leben können.
Nach einer langen Arbeitsnacht ging ich spazieren, da ich nicht einschlafen konnte. Meine Schritte führten mich hinauf zur Baustelle der Sagrada-Familia-Kathedrale. Als ich noch klein war, war mein Vater manchmal mit mir hierhergekommen, um dieses Babel aus Skulpturen und Säulen zu bestaunen, dass sich nie wirklich erheben wollte, als wäre es verdammt. Es war faszinierend, immer wieder herzukommen und festzustellen, dass es sich nicht verändert hatte, dass die Stadt ringsherum unaufhörlich weiterwuchs, die Sagrada Familia jedoch eine Ruine blieb.
Als ich dort eintraf, brach eine blaue, von roten Lichtern durchschnittene Dämmerung an, in der sich die Türme der Weihnachtsfassade in ihren Umrissen abzeichneten. Ein Ostwind trug den Staub der ungepflasterten Straßen und den Säuregeruch der Fabriken heran, welche die Grenze zum Sant-Marti-Viertel markierten. Ich überquerte eben die Calle Mallorca, als ich im Frühdunst die Lichter einer Straßenbahn näher kommen sah. Ich hörte das Rattern der Metallräder auf den Schienen und das Gebimmel, mit dem der Straßenbahner auf seine Schattenfahrt aufmerksam machte. Ich wollte loslaufen, konnte aber nicht. Wie angewurzelt blieb ich stehen, bewegungslos zwischen den Schienen, und sah zu, wie die Lichter der Bahn auf mich zustürzten. Ich hörte die Rufe des Fahrers und sah die blockierten Bremsen eine Funkenspur aus den Rädern schlagen. Und obwohl der Tod nur wenige Meter entfernt war, konnte ich keinen Muskel rühren. Ich nahm den Geruch nach Elektrizität wahr und das weiße, in meinen Augen brennende Licht, bis es verschwamm. Ich sackte wie eine Puppe zusammen und blieb noch einige Sekunden bei Sinnen, gerade lange genug, um zu sehen, wie das rauchende Rad der Straßenbahn etwa zwanzig Zentimeter von meinem Gesicht entfernt zum Stillstand kam. Dann war alles Dunkelheit.
13
Ich öffnete die Augen. Steinsäulen dick wie Bäume strebten im Halbdunkel einem nackten Gewölbe entgegen. Nadeln staubigen Lichts fielen schräg herab und ließen nicht enden wollende Reihen von Pritschen erkennen. Von der hohen Decke lösten sich kleine Wassertropfen wie schwarze Tränen, die mit einem Widerhall auf dem Boden zerplatzten. Es roch nach Moder und Feuchtigkeit.
»Willkommen im Fegefeuer.«
Ich richtete mich auf und erblickte einen Mann in Lumpen, der mit einem Grinsen, dem die Hälfte der Zähne fehlte, im Licht einer Laterne die Zeitung las. Die Titelseite verkündete, General Primo de Rivera übernehme sämtliche Staatsgewalten und
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