Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
war etwas ganz anderes. Ich sagte, Sie würden nicht das tun, was Sie empfinden.«
Ich nickte lächelnd. Das Einzige, was ich in diesem Moment empfand, war das Verlangen, sie zu küssen. Herausfordernd hielt Cristina meinem Blick stand. Sie drehte das Gesicht auch nicht weg, als ich die Hand ausstreckte, ihr die Lippen streichelte und über Kinn und Hals fuhr.
»So nicht«, sagte sie schließlich.
Als der Kellner unsere dampfenden Tassen brachte, war sie bereits weg. Es vergingen Monate, ohne dass ich auch nur ihren Namen hörte.
Eines Tages Ende September, ich hatte eben eine neue Folge der Stadt der Verdammten zu Ende geschrieben, beschloss ich, mir die Nacht freizugeben. Ich spürte, wie einer jener Stürme heraufzog, in denen mich Übelkeit befiel und feurige Dolchstöße mir das Hirn durchbohrten. Ich schluckte eine Handvoll Kodeinpillen und legte mich im Dunkeln aufs Bett, um den kalten Schweiß und das Zittern der Hände versiegen zu lassen. Als ich gerade in den Schlaf sank, hörte ich es an der Tür klingeln. Ich schleppte mich in den Vorraum und öffnete. Vidal, in einem seiner tadellosen italienischen Seidenanzüge, zündete sich eine Zigarette an – in einem Lichtkegel, den Vermeer persönlich für ihn gemalt zu haben schien.
»Lebst du, oder spreche ich mit einem Gespenst?«, fragte er.
»Sagen Sie nicht, Sie seien den ganzen Weg von der Villa Helius heruntergekommen, um mir eine Standpauke zu halten.«
»Nein. Ich bin gekommen, weil ich seit Monaten nichts von dir höre und mir Sorgen mache. Warum lässt du dir nicht eine Telefonleitung in dieses Mausoleum legen, so wie andere Menschen auch?«
»Ich mag kein Telefon. Ich schaue den Leuten gern ins Gesicht, wenn sie mit mir reden, und ich mag es, wenn auch sie mich ansehen.«
»Ich weiß nicht, ob das in deinem Fall eine gute Idee ist. Hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel geschaut?«
»Das ist Ihre Spezialität, Don Pedro.«
»In der Leichenhalle des Klinikums gibt es Leute mit einer gesünderen Hautfarbe als du. Los, zieh dich an.«
»Warum?«
»Weil ich es sage. Wir fahren spazieren.«
Vidal ließ keinen Protest gelten. Er zog mich zum Auto mit, das auf dem Paseo del Born wartete, und hieß Manuel losfahren.
»Wohin geht’s denn?«
»Überraschung.«
Wir durchquerten Barcelona bis zur Avenida Pedralbes und begannen den Hügel hinaufzufahren. Ein paar Minuten später erschien die Villa Helius, deren sämtliche Fenster hell erleuchtet waren und das Haus in der Dämmerung in glühendes Gold hüllten. In der Villa führte er mich zum großen Salon. Dort wartete eine Schar von Leuten, die bei meinem Anblick in Applaus ausbrachen. Ich erkannte Don Basilio, Cristina, Sempere und Sohn, meine ehemalige Lehrerin Doña Mariana, einige Autoren, die mit mir bei Barrido und Escobillas publizierten und mit denen ich Freundschaft geschlossen hatte, Manuel, der sich zu der Gruppe gesellt hatte, sowie einige von Vidals Eroberungen. Lächelnd reichte mir Don Pedro ein Glas Champagner.
»Alles Gute zum achtundzwanzigsten Geburtstag, David.«
Ich hatte ihn völlig vergessen.
Nach dem Abendessen entschuldigte ich mich einen Augenblick und ging in den Garten hinaus, um frische Luft zu schnappen. Der Sternenhimmel spannte einen silbernen Schleier über die Bäume. Es war kaum eine Minute verstrichen, da hörte ich Schritte näher kommen. Als ich mich umwandte, sah ich mich Cristina Sagnier gegenüber, dem letzten Menschen, den ich in diesem Moment erwartete. Sie lächelte mir zu, beinahe als wollte sie sich für die Störung entschuldigen.
»Pedro weiß nicht, dass ich herausgekommen bin, um mit Ihnen zu sprechen«, sagte sie.
Es entging mir nicht, das sie ihn nicht mehr »Don« Pedro nannte, aber ich gab vor, es nicht zu merken.
»Ich möchte mit Ihnen sprechen, David. Aber nicht hier und nicht jetzt.«
Ich war verwirrt.
»Können wir uns morgen irgendwo treffen?«, fragte sie. »Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen nicht viel Zeit stehlen werde.«
»Unter einer Bedingung«, antwortete ich, »dass Sie mich nicht mehr siezen. Die Geburtstage machen einen schon alt genug.«
Sie lächelte.
»Einverstanden. Ich duze Sie, wenn auch Sie mich duzen.«
»Duzen ist eine meiner Spezialitäten. Wo sollen wir uns treffen?«
»Könnte es bei dir sein? Ich möchte nicht, dass uns jemand sieht oder dass Pedro weiß, dass ich mit dir gesprochen habe.«
»Wie du willst …«
Cristina lächelte erleichtert.
»Danke. Morgen also? Am
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