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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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weggewischt.
    »Wie viel Zeit habe ich noch?«
    »Das ist schwer zu sagen. Vielleicht ein Jahr, höchstens anderthalb.«
    Sein Ton gab deutlich zu verstehen, dass das eine mehr als optimistische Prognose war.
    »Und von diesem Jahr oder was es auch sein mag, wie lange, glauben Sie, werde ich noch arbeiten können und allein zurechtkommen?«
    »Sie sind Schriftsteller und arbeiten mit dem Kopf. Leider ist das Problem genau da angesiedelt, und darum ist mit Einschränkungen zu rechnen.«
    »Einschränkungen ist kein medizinischer Begriff, Doktor.«
    »Normalerweise zeigen sich die Symptome, unter denen Sie leiden, desto intensiver und häufiger, je weiter die Krankheit fortschreitet, und irgendwann werden Sie sich zur Pflege in ein Krankenhaus begeben müssen, damit wir uns um Sie kümmern können.«
    »Ich werde nicht mehr schreiben können.«
    »Sie werden nicht einmal ans Schreiben denken können.«
    »Wie lange noch?«
    »Ich weiß es nicht. Neun oder zehn Monate. Vielleicht mehr, vielleicht weniger. Es tut mir sehr leid, Señor Martín.«
    Ich nickte und stand auf. Meine Hände zitterten, und ich bekam keine Luft.
    »Señor Martín, ich verstehe, dass Sie Zeit brauchen, um das alles zu verarbeiten, aber es ist wichtig, dass wir so rasch wie möglich Maßnahmen ergreifen …«
    »Ich darf noch nicht sterben, Doktor. Noch nicht. Ich habe noch etwas zu erledigen. Danach werde ich das ganze Leben zum Sterben haben.«
     

 15
    Am selben Abend ging ich im Turm ins Arbeitszimmer hinauf und setzte mich an die Schreibmaschine, obwohl ich mich völlig hohl fühlte. Die Fenster standen weit offen, aber Barcelona wollte mir nichts mehr erzählen, und ich war unfähig, eine einzige Seite zu füllen. Alles, was ich heraufbeschwören konnte, erschien mir banal und leer. Ich brauchte meine Worte nur nochmals zu lesen, um zu sehen, dass sie kaum das Farbband wert waren. Ich hörte die Musik nicht mehr, die ein passables Stück Prosa aussendet. Nach und nach tröpfelten Andreas Corellis Worte wie ein langsames, wohltuendes Gift in mein Denken.
     
    Es fehlten mir noch mindestens hundert Seiten, um diese x-te Folge der verschrobenen Abenteuer abzuschließen, mit denen sich Barrido und Escobillas eine goldene Nase verdient hatten, aber in diesem Moment wurde mir klar, dass ich sie nicht beenden würde. Ignatius B. Samson war erschöpft auf den Gleisen vor der Straßenbahn liegen geblieben, er hatte sich auf allzu vielen Seiten ausgeblutet, die nie das Licht der Welt hätten erblicken dürfen. Aber bevor er abgetreten war, hatte er mir noch seinen Letzten Willen diktiert: Ich sollte ihn ohne Förmlichkeiten bestatten und ein einziges Mal im Leben zu meiner eigenen Stimme stehen. Er vermachte mir sein beträchtliches Arsenal an Rauch und Spiegeln. Und bat mich, ihn zu entlassen, er sei dazu geboren, in Vergessenheit zu geraten.
    Ich raffte die bereits geschriebenen Seiten seines letzten Romans zusammen und steckte sie in Brand. Dabei spürte ich, wie mir mit jeder Seite, die ich den Flammen übergab, ein Stein vom Herzen fiel. An diesem Abend wehte eine feuchtwarme Brise über die Dächer, kam durch mein Fenster herein und trug Ignatius B. Samsons Asche mit sich hinaus, um sie in den Gassen der Altstadt zu verstreuen, damit Ignatius B. Samson dort immer wohne, obwohl seine Worte für immer verstummten und sein Name dem Gedächtnis selbst seiner treusten Leser entfiel.
    Am nächsten Tag wurde ich bei Barrido und Escobillas vorstellig. Die Empfangsdame war neu, irgend so ein Fräulein, das mich nicht erkannte.
    »Ihr Name?«
    »Hugo, Victor.«
    Sie lächelte und stöpselte an der Telefonzentrale, um Herminia zu benachrichtigen.
    »Doña Herminia, Don Victor Hugo ist da und möchte Señor Barrido sprechen.«
    Sie nickte und beendete die Verbindung.
    »Sie sagt, sie kommt sofort.«
    »Arbeitest du schon lange hier?«, fragte ich.
    »Eine Woche«, antwortete sie beflissen.
    Wenn meine Berechnungen stimmten, war das die achte Empfangsdame, die Barrido und Escobillas in jenem Jahr beschäftigten. Die Angestellten, die direkt der verschlagenen Herminia unterstellt waren, konnten sich immer nur kurze Zeit halten, denn wenn die Giftige entdeckte, dass sie im Gegensatz zu ihr bis vier zählen konnten, befürchtete sie, von ihnen in den Schatten gestellt zu werden, was in neun von zehn Fällen auch geschah, und beschuldigte sie des Diebstahls, der Unterschlagung oder sonst einer unsinnigen Verfehlung. Sie setzte Himmel und Hölle in Bewegung,

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