Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
ist, Martín. Sie sind erschöpft. Seit Jahren zermartern Sie sich unermüdlich das Hirn, was dieses Haus zu schätzen weiß und wofür wir Ihnen dankbar sind. Sie brauchen eine Atempause. Ich verstehe das. Wir alle verstehen das, nicht wahr?«
Barrido schaute Escobillas und die Giftige an, die ein entsprechendes Gesicht aufsetzten und nickten.
»Sie sind ein Künstler und wollen Kunst machen, hohe Literatur, etwas, was Ihrem Herzen entströmt und Ihren Namen den Stufen der Weltgeschichte in goldenen Lettern einprägt.«
»So, wie Sie es erklären, klingt es lächerlich«, sagte ich.
»Weil es lächerlich ist«, führte Escobillas an.
»Nein, ist es nicht«, unterbrach ihn Barrido. »Es ist menschlich. Und wir sind menschlich. Ich, mein Teilhaber und Herminia, die als zartfühlende Frau und sensibles Wesen die Menschlichste von uns allen ist – ist es nicht so, Herminia?«
»Ja, mehr als menschlich«, stimmte die Giftige zu.
»Und da wir menschlich sind, verstehen wir Sie und wollen Ihnen helfen. Weil wir stolz auf Sie sind und überzeugt, dass Ihre Erfolge auch unsere Erfolge sein werden, und weil in diesem Haus letztlich die Menschen und nicht die Zahlen zählen.«
Nach seiner Ansprache legte Barrido eine Kunstpause ein. Vielleicht erwartete er Beifall von meiner Seite, aber als er sah, dass ich stumm blieb, fuhr er ohne weitere Verzögerung fort.
»Aus diesem Grund schlage ich Ihnen Folgendes vor: Nehmen Sie sich sechs Monate Zeit, wenn nötig neun, eine Geburt ist immerhin eine Geburt, und ziehen Sie sich in Ihr Arbeitszimmer zurück, um den großen Roman Ihres Lebens zu verfassen. Wenn Sie ihn haben, bringen Sie ihn uns, und wir werden ihn unter Ihrem Namen veröffentlichen und dabei sämtliche Trümpfe ausspielen und alles auf eine Karte setzen. Weil wir auf Ihrer Seite sind.«
Ich schaute Barrido und dann Escobillas an. Die Giftige war drauf und dran, vor Ergriffenheit in Tränen auszubrechen.
»Natürlich ohne Vorschuss«, präzisierte Escobillas. Euphorisch schlug sich Barrido die Faust in die Hand. »Was sagen Sie nun?«
Noch am selben Tag nahm ich die Arbeit auf. Mein Plan war ebenso einfach wie wahnwitzig. Tagsüber würde ich Vidals Buch neu schreiben und nachts an meinem arbeiten. Ich würde sämtliche Schliche und Kniffe, die mir Ignatius B. Samson beigebracht hatte, zum Leuchten bringen und sie auf den Rest an Würde und Ehrbarkeit anwenden, der in meinem Herzen, wenn überhaupt, noch verblieben war. Ich würde aus Dankbarkeit, Verzweiflung und Eitelkeit schreiben. Ich würde vor allem für Cristina schreiben, um ihr zu beweisen, dass auch ich in der Lage war, meine Schuld bei Vidal zu begleichen, und dass David Martín, auch wenn er kurz davor war, tot umzufallen, das Recht hatte, ihr in die Augen zu schauen, ohne sich seiner lächerlichen Erwartungen schämen zu müssen.
Zu Dr. Trias ging ich nicht mehr. Ich sah keine Notwendigkeit darin. Wenn ich kein Wort mehr würde schreiben, ja denken können, würde ich es als Erster merken.
Ohne Fragen zu stellen, gab mir mein zuverlässiger, wenig skrupulöser Apotheker so viele Kodeinpralinen, wie ich verlangte, und ab und zu auch eine andere Köstlichkeit, die Feuer an die Adern legte und vom Schmerz bis zum Bewusstsein alles in die Luft sprengte. Über meinen Arztbesuch und die Testergebnisse sprach ich mit niemandem.
Meine Grundbedürfnisse deckte ich mit der wöchentlichen Bestellung bei Can Gispert, einem wundervollen Lebensmittelgeschäft in der Calle Mirallers hinter der Kathedrale Santa María del Mar. Die Bestellung war immer die gleiche und wurde mir von der Tochter des Inhabers ins Haus geliefert, einem jungen Mädchen, das mich anstarrte wie ein erschrockenes Reh, wenn ich sie im Vorraum zu warten bat, bis ich das Geld geholt hätte.
»Das ist für deinen Vater, und das ist für dich.«
Ich gab ihr immer zehn Céntimos Trinkgeld, die sie wortlos entgegennahm. Jede Woche klingelte sie mit der Bestellung an meiner Tür, und jede Woche gab ich ihr zehn Céntimos Trinkgeld. Neun Monate und einen Tag, so lange, wie ich brauchte, um das einzige Buch zu schreiben, das meinen Namen trug, sah ich keinen Menschen öfter als dieses junge Mädchen, dessen Namen ich nicht kannte und dessen Gesicht ich jede Woche wieder vergaß, bis sie erneut vor meiner Schwelle stand.
Ohne Vorankündigung blieb Cristina unseren allnachmittäglichen Treffen fern. Ich fürchtete bereits, Vidal hätte unsere Kriegslist durchschaut, als ich eines
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