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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Schlüsselstellen die Bewässerung zu stimulieren?«, fragte ich.
    »Lachen Sie nur, Sie Halunke, ich bin bald siebzig und habe noch immer keinen gottverdammten Enkel.«
    Wir wurden von dem Oberkellner empfangen, den ich von meinem letzten Besuch her noch in Erinnerung hatte, allerdings ohne serviles Lächeln oder Willkommensgeste. Als ich ihm sagte, ich hätte nicht reserviert, nickte er verächtlich und schnippte mit den Fingern einen Hilfskellner herbei, der uns formlos an den schlechtesten Tisch des Saals führte, neben der Küchentür in einem dunklen, lauten Winkel. In den folgenden fünfundzwanzig Minuten bequemte sich niemand an unseren Tisch, nicht einmal, um uns die Karte oder ein Glas Wasser zu bringen. Das Personal ging Türen schlagend vorbei, ohne uns und unsere Winke auch nur im Geringsten zur Kenntnis zu nehmen.
    »Meinen Sie nicht, wir sollten wieder gehen?«, fragte Sempere junior schließlich. »Ich komme gut mit einem belegten Brötchen aus, egal, wo …«
    Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als sie hereinkamen. In Begleitung des Oberkellners und zweier Kellner, die sich in Beglückwünschungen ergingen, steuerten Vidal und seine Gattin ihren Tisch an. Sie nahmen Platz, und zwei Minuten später setzte die Prozession der Gäste ein, die einer nach dem anderen an Vidals Tisch traten, um ihm zu gratulieren. Er empfing sie mit gottgleicher Gnade und entließ sie kurz darauf wieder. Der junge Sempere, der die Situation erfasst hatte, beobachtete mich.
    »Martín, fühlen Sie sich gut? Warum gehen wir nicht?«
    Ich nickte langsam. Wir standen auf und gingen in größtmöglicher Entfernung von Vidals Tisch an der Wand entlang dem Ausgang zu. Der Oberkellner würdigte uns keines Blickes, und kurz vor dem Ausgang sah ich im Spiegel über dem Türrahmen, wie Vidal sich zu Cristina hinüberbeugte und sie auf die Lippen küsste. Auf der Straße sah mich Sempere gequält an.
    »Tut mir leid, Martín.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen. Es war eine schlechte Wahl, das ist alles. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, bitte zu Ihrem Vater …«
    »… kein Wort davon«, versicherte er.
    »Danke.«
    »Keine Ursache. Wie wäre es, wenn ich Sie an einen etwas volkstümlicheren Ort einlade? In der Calle del Carmen gibt es einen ganz außergewöhnlichen Mittagstisch.«
    Mir war der Appetit vergangen, aber ich stimmte gern zu.
    »Gehen wir.«
    Das Lokal befand sich in der Nähe der Bibliothek und servierte günstige Hausmannskost für die Leute aus dem Viertel. Ich rührte das Essen kaum an, obwohl es unendlich viel besser duftete als alles, was ich in der Maison Dorée je erschnuppert hatte. Als der Nachtisch kam, hatte ich ganz allein bereits anderthalb Flaschen Roten geleert und verspürte einen ordentlichen Rausch.
    »Sempere, sagen Sie mir eines. Was haben Sie eigentlich dagegen, frisches Blut in ihre Sippe zu bringen? Oder wie sonst erklärt es sich, dass ein junger, gesunder, vom Allmächtigen mit Ihrem Aussehen gesegneter Bürger noch nicht das saftigste Wild seines Reviers erlegt hat?«
    Der Buchhändlersohn lachte.
    »Was bringt Sie auf den Gedanken, ich hätte es nicht getan?«
    Ich führte meinen Zeigefinger an die Nase und zwinkerte ihm zu. Er nickte.
    »Auf die Gefahr hin, dass Sie mich für scheinheilig halten – ich mag die Vorstellung, dass ich warte.«
    »Worauf? Darauf, dass Sie die Maschinerie nicht mehr in Gang kriegen?«
    »Sie reden wie mein Vater.«
    »Weise Männer sind sich immer einig.«
    »Ich denke, es gibt noch was anderes, oder?«, fragte er.
    »Etwas anderes?«
    Er nickte.
    »Was weiß ich«, sagte ich.
    »Ich glaube, Sie wissen es durchaus.«
    »Tja, so ist es wohl.«
    Ich wollte mir nachschenken, aber Sempere hielt mich zurück.
    »Vorsicht«, murmelte er.
    »Sehen Sie, wie scheinheilig Sie sind?«
    »Jeder ist, wie er ist.«
    »Dem kann abgeholfen werden. Was halten Sie davon, wenn wir beide jetzt auf Brautschau gehen?« Er sah mich mitleidig an.
    »Martín, ich glaube, Sie gehen jetzt besser nach Hause und ruhen sich aus. Morgen ist ein neuer Tag.«
    »Sie werden Ihrem Vater doch nicht sagen, dass ich mir einen Affen angetrunken habe, nicht wahr?«
     
    Auf dem Heimweg machte ich in nicht weniger als sieben Kneipen halt, um von ihren Hochprozentigen zu kosten, bis man mich jeweils unter irgendeinem Vorwand auf die Straße setzte und ich nach hundert Metern einen neuen Hafen anlief. Ich war nie ein ausdauernder Trinker gewesen, und so war ich am Abend schließlich sternhagelvoll und

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