Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
diesem Zimmer drang ein seltsamer Geruch nach verwelkten Blumen und umgegrabener Erde.
Ich öffnete die Tür und riss die Hand vors Gesicht. Der Gestank war gewaltig. Ich tastete an der Wand nach dem Schalter, aber die nackte Glühbirne an der Decke ging nicht an. In dem vom Korridor einfallenden Licht konnte man die Konturen des Stapels von Kisten, Büchern und Koffern sehen, die ich vor Jahren hier untergebracht hatte. Ich betrachtete all das mit Abscheu. Die hintere Wand war vollkommen mit einem großen Eichenschrank verstellt. Ich kniete mich vor eine Schachtel mit alten Fotos, Brillen, Uhren und anderen persönlichen Gegenständen und begann darin zu kramen, ohne genau zu wissen, was ich suchte. Nach einer Weile gab ich das Unterfangen mit einem Seufzer wieder auf. Wenn ich etwas herauszufinden hoffte, musste ich planmäßig vorgehen. Ich war drauf und dran, das Zimmer wieder zu verlassen, als ich hörte, wie sich hinter mir ganz langsam eine Schranktür öffnete. Ein feuchtkalter Luftzug strich mir um den Nacken. Langsam drehte ich mich um. Eine der Türen stand halb auf, sodass man im Innern die alten Kleider und Anzüge an ihren Bügeln hängen sah, zerfressen von der Zeit und sich wiegend wie Algen im Wasser. Der kalte Luftzug und der Gestank kamen von dort. Ich trat näher und öffnete die Türen weit, um die an den Bügeln hängenden Kleider zu teilen. Das Holz der Rückwand war morsch und teilweise gesplittert. Dahinter konnte man eine Gipswand erkennen, in der sich ein etwa zwei Zentimeter breites Loch aufgetan hatte. Ich beugte mich vor, um zu sehen, was sich auf der anderen Seite befand, aber die Dunkelheit war fast vollkommen. Das schwache Licht aus dem Korridor sickerte durch das Loch und warf einen dunstigen Lichtstreifen auf die andere Seite. Es war nicht viel mehr zu erahnen als abgestandene Luft. Ich näherte mich mit einem Auge dem Loch, um hindurchzuspähen, aber genau in diesem Augenblick krabbelte eine schwarze Spinne heraus. Ich wich jäh zurück, und die Spinne sauste das Schrankinnere hinauf und verschwand im Schatten. Ich machte die Schranktüren zu, verließ das Zimmer und schloss ab. Den Schlüssel legte ich in die oberste Schublade der Kommode im Korridor. Der bisher in diesem Raum gefangene Gestank hatte sich wie Gift bis hierhin ausgebreitet. Ich verfluchte die Stunde, in der es mir in den Sinn gekommen war, diese Tür zu öffnen, und verließ das Haus in der Hoffnung, die im Herzen dieser Wohnung pochende Dunkelheit zu vergessen, und sei es nur für einige Stunden.
Schlechte Ideen kommen selten allein. Zur Feier der Entdeckung dieser verborgenen Dunkelkammer ging ich zu Sempere und Söhne, um den Buchhändler zum Mittagessen in die Maison Dorée einzuladen. Er las gerade in einer kostbaren Ausgabe von Potockis Handschrift von Saragossa und mochte von meinem Vorschlag nichts hören.
»Wenn ich Snobs und sonstige Trottel sehen will, die sich aufspielen und gegenseitig beglückwünschen, brauche ich dafür nicht zu bezahlen, Martín.«
»Seien Sie kein Spielverderber – ich lade Sie ja ein.«
Er lehnte ab. Sein Sohn, der das Gespräch auf der Schwelle zum Hinterzimmer verfolgt hatte, schaute mich zweifelnd an.
»Und wenn ich Ihren Sohn einlade, was dann? Verbieten Sie es mir?«
»Sie müssen selbst wissen, wofür Sie Zeit und Geld verschwenden. Ich bleibe hier und lese, das Leben ist kurz.«
Sempere junior war ein Musterbeispiel an Schüchternheit und Verschwiegenheit. Obwohl wir uns von Kindesbeinen an kannten, konnte ich mich nicht entsinnen, mit ihm mehr als drei, vier Unterhaltungen geführt zu haben, die länger als fünf Minuten gedauert hätten. Ich kannte an ihm weder Laster noch Sünden. Dagegen wusste ich aus verlässlicher Quelle, dass er bei den Mädchen des Viertels als der offizielle Frauenschwarm und gute Partie galt. Mehr als eine kam unter irgendeinem Vorwand zur Buchhandlung und blieb seufzend vor dem Schaufenster stehen, doch Semperes Sohn, wenn er es denn überhaupt bemerkte, unternahm nie einen Schritt, um diese Wechsel auf Ergebenheit und schmachtende Lippen einzulösen. Jeder andere hätte mit einem Zehntel dieses Kapitals eine glänzende Karriere als Windhund gemacht. Jeder außer Sempere junior, bei dem man manchmal nicht wusste, ob man ihn seligsprechen sollte.
»Wenn das so weitergeht, bekommt er noch einen Heiligenschein«, lamentierte Sempere bisweilen.
»Haben Sie schon mal versucht, ihm ein wenig Paprika in die Suppe zu geben, um an den
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