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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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wird nur aus dem Grund Athlet, weil er von Natur aus groß oder stark oder schnell ist. Was den Athleten – oder den Künstler – ausmacht, das ist die Arbeit, das Handwerk, die Technik. Die Intelligenz, die einem in die Wiege gelegt wird, ist bloß die Munition. Um damit etwas anfangen zu können, muss man seinen Geist zu einer Präzisionswaffe machen.«
    »Warum dieser kriegerische Vergleich?«
    »Jedes Kunstwerk ist aggressiv, Isabella. Und jedes Künstlerleben ist ein kleiner oder großer Krieg, angefangen bei einem selbst und den eigenen Beschränkungen. Um zu erreichen, was man sich vorgenommen hat, braucht man vor allem Ehrgeiz, dann Talent, Wissen und schließlich eine Chance.«
    Sie wog meine Worte ab.
    »Haben Sie diesen Vortrag schon öfter gehalten, oder ist er Ihnen eben eingefallen?«
    »Der Vortrag ist nicht von mir. Es hat ihn mir jemand ›gehalten‹, wie du sagst, dem ich dieselben Fragen gestellt habe wie du mir. Das ist viele Jahre her, aber es vergeht kein Tag, an dem ich nicht erfahre, wie recht er damit hatte.«
    »Dann darf ich also Ihre Assistentin werden?«
    »Ich werde darüber nachdenken.«
    Isabella nickte zufrieden. Sie hatte sich an eine Ecke des Tisches gesetzt, auf der Cristinas Fotoalbum lag. Sie schlug es von hinten auf und besah sich ein Porträt der frischgebackenen Señora Vidal, das zwei oder drei Jahre zuvor vor der Villa Helius aufgenommen worden war. Ich musste schlucken. Isabella klappte das Album wieder zu und ließ den Blick durch die Veranda und dann erneut zu mir gleiten. Ich beobachtete sie ungeduldig. Sie lächelte erschrocken, als hätte ich sie beim Herumschnüffeln ertappt.
    »Sie haben eine sehr hübsche Freundin«, sagte sie.
    Der Blick, den ich ihr zuwarf, fegte ihr das Lächeln vom Gesicht.
    »Das ist nicht meine Freundin.«
    »Oh.«
    Langes Schweigen.
    »Vermutlich heißt die fünfte Regel, ich soll meine Nase nicht in Dinge stecken, die mich nichts angehen, was?«
    Ich gab keine Antwort. Isabella nickte für sich selbst und stand auf.
    »Dann lasse ich Sie jetzt besser in Frieden und störe nicht weiter für heute. Wenn es Ihnen recht ist, komme ich morgen wieder, und wir fangen an.«
    Sie nahm die Seiten ihrer Erzählung und lächelte mir schüchtern zu. Ich antwortete mit einem Nicken.
     
     
    Isabella zog sich diskret zurück und verschwand im Flur. Ich hörte ihre Schritte leiser werden und dann die Tür ins Schloss fallen. Als sie weg war, nahm ich zum ersten Mal die Stille wahr, die dieses Haus verhexte.
     

 6
    Vielleicht war es das Übermaß an Koffein in meinen Adern oder auch nur mein Gewissen, das langsam zurückkehrte wie das Licht nach einem Stromausfall – jedenfalls verbrachte ich den Rest des Vormittags damit, einem alles andere als tröstlichen Gedanken nachzuhängen. Dass der Brand, dem Barrido und Escobillas zum Opfer gefallen waren, das Angebot Corellis, von dem ich nichts mehr gehört hatte – was mich stutzig machte –, und das seltsame Manuskript vom Friedhof der Vergessenen Bücher, das vermutlich in diesen vier Wänden verfasst worden war, in keinem Zusammenhang zueinander stehen sollten, war schwer vorstellbar.
     
    Es erschien mir wenig ratsam, ohne vorherige Einladung erneut die Villa von Andreas Corelli aufzusuchen, um ihn über den zeitlichen Zusammenfall des Brandes mit unserem Gespräch zu befragen. Mein Instinkt sagte mir, dass der Verleger selbst verfügen würde, wann er mich wiedersehen wollte, und was diese unvermeidliche Begegnung betraf, verspürte ich nicht die geringste Eile. Die Ermittlungen rund um das Feuer lagen bereits in der Hand von Inspektor Victor Grandes und seinen beiden Bullenbeißern Marcos und Castelo, zu deren Lieblingen ich mich zählen durfte. Je größeren Abstand ich hielt, desto besser. So blieb mir nur noch, das Buch und seine Beziehung zum Haus mit dem Turm zu untersuchen. Nachdem ich mir jahrelang eingeredet hatte, es sei kein Zufall, dass ich hier wohnte, bekam diese Vorstellung nun eine ganz andere Bedeutung.
    Ich begann an dem Ort, an den ich die meisten der von den ehemaligen Bewohnern zurückgelassenen Gegenstände und Habseligkeiten verbannt hatte. Den Schlüssel zum hintersten Zimmer holte ich aus der Küchenschublade, wo er Jahre gelegen hatte. Seit die Elektriker die Kabel verlegt hatten, hatte ich den Raum nicht mehr betreten. Als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, spürte ich einen kalten Luftzug an meinen Fingern und stellte fest, dass Isabella recht gehabt hatte – aus

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