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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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sie.«
    Gemeinsam tranken wir in der Veranda den köstlichen kolumbianischen Kaffee. Isabella hielt ihre große Tasse in beiden Händen und betrachtete mich argwöhnisch, während ich ihre zwanzig Seiten las. Jedes Mal, wenn ich ein Blatt beiseite legte und aufschaute, traf ich auf ihren erwartungsvollen Blick.
    »Wenn du mich weiterhin wie eine Schleiereule anstarrst, werde ich nie damit fertig.«
    »Was soll ich denn sonst tun?«
    »Wolltest du nicht meine Assistentin sein? Dann assistiere. Such zum Beispiel etwas, was geordnet werden muss, und ordne es.«
    Isabella schaute sich um.
    »Hier ist nichts geordnet.«
    »Dann pack die Gelegenheit beim Schopf.«
    Sie nickte und machte sich mit militärischer Entschlossenheit auf, des in meiner Behausung allenthalben herrschenden Chaos Herr zu werden. Ich hörte ihre Schritte sich im Korridor entfernen und fuhr mit der Lektüre fort. Ihre Erzählung wies kaum eine Handlung auf. Sie schilderte mit großer Sensibilität und wohlgesetzten Worten die Gefühle und Sehnsüchte eines jungen Mädchens, das in ein kaltes Dachzimmer des Ribera-Viertels verbannt war, von wo aus sie dem Treiben in den engen, düsteren Gassen zusah. Die Bilder und die traurige Musik ihrer Prosa verrieten eine an Verzweiflung grenzende Einsamkeit. Das junge Mädchen der Erzählung war in ihrer eigenen Welt gefangen und trat manchmal vor einen Spiegel, wo sie sich mit einer Scherbe in Arme und Schenkel schnitt: Davon blieben Narben zurück wie die, die man unter Isabellas Ärmeln erraten konnte. Kurz vor Ende der Lektüre sah ich, wie sie mich von der Verandatür aus anschaute.
    »Was ist?«
    »Entschuldigen Sie die Störung, aber was ist in dem Zimmer am Ende des Flurs?« »Nichts.« »Riecht seltsam.« »Die Feuchtigkeit.«
    »Wenn Sie wollen, kann ich dort sauber machen und …«
    »Nein. Dieses Zimmer wird nicht benutzt. Und zudem bist du nicht mein Dienstmädchen und hast keine Veranlassung, irgendwo sauber zu machen.«
    »Ich will bloß helfen.«
    »Hilf mir, indem du mir noch eine Tasse Kaffee bringst.«
    »Warum? Macht Sie die Erzählung müde?« »Wie spät ist es, Isabella?« »Es muss etwa zehn Uhr sein.« »Und das heißt?«
    »… kein Sarkasmus bis zum Mittag«, antwortete sie. Ich lächelte triumphierend und hielt ihr die leere Tasse hin.
    Als sie mit dem dampfenden Kaffee aus der Küche zurückkam, hatte ich die letzte Seite gelesen. Isabella setzte sich mir gegenüber. Ich lächelte ihr zu und schlürfte in aller Ruhe den wunderbaren Kaffee. Das junge Mädchen rang die Hände, presste die Lippen zusammen und warf verstohlene Blicke auf ihre Erzählung, deren Seiten jetzt umgedreht auf dem Tisch lagen. Zwei Minuten hielt sie es aus, ohne den Mund aufzutun.
    »Und?«, fragte sie schließlich.
     
    »Vorzüglich.«
    Ihr Gesicht begann zu leuchten. »Meine Erzählung?« »Der Kaffee.«
    Verletzt schaute sie mich an und stand auf, um ihre Seiten zu holen.
    »Lass sie liegen«, befahl ich.
    »Wozu? Es ist doch klar, dass sie Ihnen nicht gefallen hat und dass Sie denken, ich sei eine arme Idiotin.«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Gar nichts haben Sie gesagt, das ist schlimmer.«
    »Isabella, wenn du wirklich schreiben willst oder wenigstens so schreiben willst, dass andere dich lesen, dann wirst du dich daran gewöhnen müssen, dass man dich mitunter nicht zur Kenntnis nimmt, dass man dich beschimpft, dich verachtet und dass man dir in den meisten Fällen mit Gleichgültigkeit begegnet. Das ist einer der Vorteile dieses Berufs.«
    Sie senkte den Blick und atmete tief durch.
    »Ich weiß nicht, ob ich Talent habe. Ich weiß nur, dass ich gern schreibe. Oder besser gesagt, dass ich schreiben muss.«
    »Schwindlerin.«
    Sie sah mich hart an.
    »Also gut. Ich habe Talent. Und es interessiert mich einen feuchten Dreck, ob Sie glauben, ich habe keins.« Ich lächelte.
    »Das gefällt mir schon besser. Ich bin vollkommen einverstanden.«
    Verwirrt schaute sie mich an.
    »Damit, dass ich Talent habe, oder damit, dass Sie glauben, ich habe keins?«
    »Was meinst denn du?«
    »Dann glauben Sie, dass ich begabt bin?«
    »Ich glaube, du hast Talent und Lust, etwas damit anzufangen. Mehr, als du denkst, und weniger, als du erwartest. Aber es gibt viele Leute mit Talent und Lust, und viele von ihnen bringen es nie zu etwas. Das ist erst der Ausgangspunkt, um im Leben etwas zu erreichen. Das Talent ist wie die Kraft eines Athleten. Man kann mit mehr oder weniger Fähigkeiten geboren werden, aber niemand

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