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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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wusste nicht einmal mehr, wo ich wohnte. Ich erinnere mich, dass mich zwei Kellner des Gasthauses Ambos Mundos auf der Plaza Real je an einem Arm auf eine Bank vor dem Brunnen schleppten, wo ich in einen tiefen, dunklen Schlaf fiel.
    Ich träumte, ich ginge zu Don Pedros Beerdigung. Ein blutiger Himmel überzog das Labyrinth von Kreuzen und Engeln rund um das große Mausoleum der Vidals auf dem Montjuic-Friedhof. Eine schwarz verschleierte Trauerschar säumte das dunkle Marmorrund, das die Säulen vor dem Mausoleum bildeten. Jeder der Anwesenden trug eine hohe weiße Altarkerze. Im Licht von hundert Flammen wurde der Umriss eines großen, schmerzvoll blickenden Marmorengels auf einem Sockel sichtbar, zu dessen Füßen sich das offene Grab meines Mentors mit einem gläsernen Sarg befand. Vidals Leiche, ganz in Weiß, ruhte mit offenen Augen unter dem Glas. Schwarze Tränen rannen ihm über die Wangen. Die Gestalt der Witwe, Cristina, löste sich aus dem Gefolge und fiel tränenüberströmt vor dem Sarg auf die Knie. Der Reihe nach zogen die Trauernden am Verstorbenen vorbei und legten schwarze Rosen auf den Glassarg, bis er so weit bedeckt war, dass man nur noch das Antlitz sah. Zwei gesichtslose Totengräber senkten den Sarg ins Grab, dessen Grund von einer dicken, dunklen Flüssigkeit überschwemmt war. Der Sarg schwamm auf einem Teppich von Blut, das langsam durch die Ritzen der gläsernen Verschlüsse drang. Nach und nach füllte er sich, und das Blut bedeckte Vidals Leichnam. Bevor sein Gesicht ganz verschwand, bewegte mein Mentor die Augen und schaute mich an. Ein Schwarm schwarzer Vögel flog auf, und ich lief davon und verirrte mich auf den Wegen der unendlichen Totenstadt. Nur durch ein fernes Weinen fand ich wieder zum Ausgang und konnte den Klagen und Bitten der dunklen Schattengestalten entkommen, die sich mir in den Weg stellten und mich anflehten, sie mitzunehmen, um sie aus ihrer ewigen Finsternis zu erretten.
    Zwei Polizisten weckten mich mit leichten Knüppelschlägen aufs Bein. Es war schon dunkel geworden, und ich brauchte einige Sekunden, um zu erkennen, ob es sich um reguläre Ordnungskräfte oder um Abgesandte der Parzen mit Sonderauftrag handelte.
    »Los, der Herr, ab nach Hause den Rausch ausschlafen, verstanden?«
    »Zu Befehl, mein Oberst.«
    »Los, los, oder ich werfe Sie in die Arrestzelle, das dürfte weniger lustig sein.«
    Er musste es nicht zweimal sagen. Ich stand auf, so gut es ging, und machte mich auf den Heimweg in der Hoffnung, dort anzukommen, bevor mich meine Schritte abermals in eine elende Spelunke führten. Der Weg, für den ich normalerweise zehn oder fünfzehn Minuten gebraucht hätte, kostete mich jetzt das Dreifache an Zeit. Schließlich gelangte ich dank einer glücklichen Drehung in letzter Sekunde vor meine Haustür, wo ich, als wäre ich verflucht, erneut auf Isabella traf, die diesmal im Treppenhaus saß und mich erwartete.
    »Sie sind ja betrunken«, sagte sie.
    »Das muss ich wohl sein, denn mitten im Delirium tremens war mir, als sähe ich dich um Mitternacht vor meiner Wohnungstür schlafen.«
    »Ich konnte sonst nirgends hin. Ich habe mich mit meinem Vater gestritten, und er hat mich rausgeschmissen.«
    Ich schloss die Augen und seufzte. Mein von Schnaps und Verbitterung stumpfes Hirn war außerstande, all die Verwünschungen zu formulieren, die mir auf der Zunge lagen.
    »Hier kannst du nicht bleiben, Isabella.«
    »Bitte, nur für diese eine Nacht. Morgen suche ich mir eine Pension. Ich flehe Sie an, Señor Martín.«
    »Schau mich nicht an wie ein Opferlamm«, sagte ich drohend.
    »Außerdem ist es Ihre Schuld, wenn ich auf der Straße stehe«, fügte sie hinzu.
    »Meine Schuld. Wunderbar. Ob du Talent zum Schreiben hast, weiß ich nicht, aber fieberhafte Phantasie hast du mehr als genug. Darf ich fragen, aus welchem unglücklichen Grund es meine Schuld sein soll, dass dich dein Herr Vater rausgeworfen hat?«
    »Wenn Sie betrunken sind, reden Sie seltsam.«
    »Ich bin nicht betrunken. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie betrunken. Beantworte meine Frage.«
    »Ich sagte meinem Vater, Sie hätten mich als Assistentin eingestellt und fürderhin würde ich mich der Literatur widmen und könne nicht mehr im Laden arbeiten.«
    »Was?«
    »Können wir hineingehen? Mir ist kalt, und mein Hintern fühlt sich mittlerweile an wie Stein.«
    Mein Kopf drehte sich, und Übelkeit erfasste mich. Ich schaute in den durch das Oberlicht eindringenden schwachen Schein

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