Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
Schwachkopf.
»Was ist denn jetzt wieder?«, fragte der Wärter.
»Salgado – er ist abgekratzt.«
Der Wärter schüttelte den Kopf und machte ein wütendes Gesicht.
»Dieser verdammte Hurenbock. Und jetzt?«
»Bringen Sie den Sack.«
Der Wärter verfluchte sein Los.
»Wenn Sie wollen, pack ich ihn selber rein, Chef«, erbot sich Fermín.
Mit einem Anflug von Dankbarkeit stimmte der Wärter zu.
»Wenn Sie mir den Sack gleich bringen, können Sie jemanden benachrichtigen, während ich ihn hineinstecke, und dann holt man ihn noch vor Mitternacht ab.«
Wieder nickte der Wärter, dann ging er den Segeltuchsack holen. Fermín blieb an der Zellentür stehen. Auf der anderen Seite des Gangs beobachteten ihn schweigend Martín und Sanahuja.
Zehn Minuten später kam der Wärter zurück, den Sack an einem Ende hinter sich herziehend. Der Gestank nach verfaultem Aas bereitete ihm kaum zu übersehende Übelkeit. Ohne weitere Anweisungen abzuwarten, zog sich Fermín in den hintersten Teil der Zelle zurück. Der Wärter schloss auf und warf den Sack hinein.
»Am besten, Sie benachrichtigen sie jetzt gleich, Chef, dann schaffen sie die Leiche noch vor zwölf Uhr weg, sonst haben wir sie bis morgen Abend hier.«
»Sind Sie sicher, dass Sie ihn allein da reinkriegen?«
»Keine Sorge, Chef, ich habe Übung.«
Der Wärter nickte abermals, nicht ganz überzeugt.
»Na, hoffentlich haben wir Glück, der Stummel beginnt schon zu eitern, und das stinkt dann wie Pech und Schwefel …«
»Scheiße«, sagte der Wärter und machte sich eilig davon.
Sowie er ihn am anderen Ende des Gangs ankommen hörte, begann Fermín Salgado zu entkleiden und zog sich dann selbst ebenfalls aus. Er schlüpfte in die stinkenden Lumpen des Diebes und zog diesem seine an. Dann bettete er ihn seitlich und mit dem Gesicht zur Wand auf die Pritsche und deckte ihn mit der Decke bis unter die Augen zu. Danach schlüpfte er in den Segeltuchsack. Schon wollte er ihn verschließen, als ihm etwas in den Sinn kam.
In aller Eile wand er sich wieder hinaus und ging zur Wand. Mit den Nägeln kratzte er zwischen den beiden Steinen, wo er Salgado den Schlüssel hatte verstecken sehen, bis dessen Spitze zum Vorschein kam. Er versuchte ihn zu greifen, doch er klemmte zwischen den Steinen fest.
»Beeilen Sie sich«, hörte er Martíns Stimme von der anderen Gangseite her.
Er verkrallte sich in den Schlüssel und zerrte mit aller Kraft. Da riss sein Ringfingernagel ab, und einige Sekunden lang blendete ihn stechender Schmerz. Er unterdrückte einen Schrei und hielt sich den Finger an die Lippen. Der Geschmack nach dem eigenen Blut, salzig und metallisch, erfüllte seinen Mund. Er öffnete wieder die Augen und sah den Schlüssel einen Zentimeter aus der Spalte ragen. Jetzt konnte er ihn mühelos herausziehen.
Wieder zwängte er sich in den Segeltuchsack und verknotete ihn, so gut es ging, von innen, so dass eine Handbreit offen blieb. Gegen den aufsteigenden Brechreiz ankämpfend, legte er sich auf den Boden und verschnürte von innen beinahe vollständig den Sack, so dass nur noch eine faustgroße Öffnung blieb. Er hielt sich die Finger an die Nase, da er lieber durch den eigenen Schmutz als durch diesen Fäulnisgeruch hindurch atmete. Jetzt hieß es abwarten, dachte er.
20
Die Straßen von Pueblo Nuevo lagen in einer undurchdringlichen, feuchten Dunkelheit, die von der Hütten- und Barackensiedlung am Strand des Somorrostro-Viertels heraufstieg. Zwischen den Schatten düsterer, baufälliger Fabriken, Lagerhallen und Hangars pflügte sich der Studebaker des Direktors langsam durch die Dunstschleier. Seine Scheinwerfer projizierten zwei helle Tunnel. Nach einer Weile zeichnete sich im Nebel am Ende der Straße die alte Textilfabrik Vilardell mit ihren Schloten und den Firsten von Hallen und verlassenen Werkstätten ab. Das große Eingangstor wurde von einem Lanzengitter bewacht; dahinter erahnte man ein unkrautüberwuchertes Labyrinth, aus dem die Skelette von Lastwagen und ausgedienten Karren ragten. Vor dem Eingang hielt der Fahrer an.
»Lassen Sie den Motor laufen«, befahl der Direktor.
Die Scheinwerfer drangen in die Schwärze auf der anderen Seite des Tors und ließen den desolaten Zustand der Fabrik erkennen, die im Krieg bombardiert und dann wie so viele Gebäude in der ganzen Stadt ihrem Schicksal überlassen worden war.
Linker Hand sah man ein paar große, mit Holzbrettern verschlossene Baracken, und vor mehreren Garagen, die offenbar den
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