Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
ihn Dr. Sanahuja behandelte. Es war ein junger Mann, höchstens zwanzig, neu in der Wärtergruppe. Eigentlich hatte Bebo Nachtschicht, doch jetzt fungierte an seiner Stelle dieser tölpelhafte Neuling, der nicht einmal mit dem Schlüsselbund zurechtzukommen schien und ängstlicher war als alle Gefangenen. Es war etwa neun Uhr abends, als der Arzt sichtlich müde ans Gitter trat und zu dem Wärter sagte:
»Ich brauche weitere saubere Gazen und Wasserstoffsuperoxid.«
»Ich darf meinen Posten nicht verlassen.«
»Und ich darf einen Patienten nicht verlassen. Bitte – Gazen und Wasserstoffsuperoxid.«
Der Wärter wand sich nervös.
»Der Herr Direktor mag es gar nicht, wenn man seinen Anweisungen nicht wörtlich nachkommt.«
»Er wird es noch weniger mögen, wenn Martín etwas zustößt, weil Sie nicht auf mich gehört haben.«
Der andere überlegte hin und her.
»Wir werden nicht durch die Wände gehen oder die Gitterstäbe auffressen, Chef«, sagte der Arzt.
Der Wärter stieß einen Fluch aus und machte sich eilig davon. Während er Richtung Apotheke verschwand, wartete Sanahuja am Gitter. Salgado schlief schon seit zwei Stunden, schwer atmend. Leise näherte sich Fermín dem Gang und wechselte einen Blick mit dem Arzt. Da warf ihm Sanahuja das Paket zu, kleiner als ein Kartenspiel, in einen Stofffetzen gehüllt und von einer Schnur zusammengehalten. Fermín schnappte es im Flug und zog sich schnell wieder in die hinteren Schatten seiner Zelle zurück. Als der Wärter mit den verlangten Dingen zurückkam, spähte er durchs Gitter nach Salgados Gestalt.
»Er liegt in den letzten Zügen«, sagte Fermín. »Ich glaube nicht, dass er den morgigen Tag noch erlebt.«
»Erhalte ihn bis sechs Uhr am Leben. Ich will nicht, dass er mir Scherereien macht und stirbt, bevor die Ablösung kommt.«
»Wir werden das Menschenmögliche tun«, antwortete Fermín.
17
In jener Nacht, während Fermín Sanahujas Päckchen aufknüpfte, fuhr ein schwarzer Studebaker den Direktor den Montjuïc hinab den dunklen Straßen entgegen, die den Hafen säumten. Jaime, der Fahrer, gab sich ganz besonders Mühe, Schlaglöcher zu meiden und auch sonst keinen Fehler zu begehen, der dem Direktor hätte unangenehm sein oder ihn aus seinen tiefen Gedanken reißen können. Der neue Direktor war nicht wie der alte, der sich immer mit ihm unterhalten und einmal sogar neben ihn gesetzt hatte. Direktor Valls richtete nie das Wort an ihn, außer um ihm Anweisungen zu erteilen, und blickte ihn höchstens an, wenn er etwas falsch gemacht oder eine Kurve zu schnell genommen hatte oder über einen Stein gefahren war. Dann sah er seine Augen im Rückspiegel glühen und sein Gesicht eine verdrießliche Grimasse schneiden. Direktor Valls verbot ihm, das Radio anzudrehen, weil die Sendungen, wie er sagte, eine Beleidigung für seine Intelligenz waren. Ebenso wenig erlaubte er ihm, die Fotos von Frau und Tochter auf dem Armaturenbrett mitzuführen.
Zum Glück gab es zu dieser vorgerückten Stunde kaum noch Verkehr, und der Weg hielt keine unangenehmen Überraschungen bereit. In wenigen Minuten hatte das Auto die Atarazanas hinter sich gebracht, umfuhr das Kolumbus-Denkmal und bog in die Ramblas ein. Einige Augenblicke später hielt es vor dem Café de la Ópera an. Das Opernpublikum des Liceo-Theaters auf der gegenüberliegenden Straßenseite war bereits in der Abendvorstellung, und die Ramblas lagen verlassen da. Der Fahrer stieg aus und öffnete, nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war, Mauricio Valls die Tür. Der Direktor stieg aus und betrachtete gleichgültig den Boulevard. Er rückte die Krawatte zurecht und wischte sich über die Schultern.
»Warten Sie hier«, sagte er zum Fahrer.
Der Direktor betrat das beinahe leere Café. Die Uhr an der Wand hinter der Theke zeigte fünf vor zehn. Valls beantwortete den Gruß des Kellners mit einem Nicken und setzte sich an einen der hinteren Tische. Gemächlich zog er die Handschuhe aus und ein silbernes Zigarettenetui aus der Tasche, das ihm der Schwiegervater zum ersten Hochzeitstag geschenkt hatte. Er steckte sich eine Zigarette an und betrachtete das alte Café. Mit einem Tablett in der Hand trat der Kellner an den Tisch und wischte ihn mit einem feuchten, nach Lauge riechenden Lappen ab. Der Direktor warf ihm einen verächtlichen Blick zu, den der Kellner ignorierte.
»Was darf es sein, der Herr?«
»Zwei Kamillentee.«
»In derselben Tasse?«
»Nein. In zwei
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