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Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Titel: Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Flammen zum Opfer gefallen waren, stand das ehemalige Wächterhaus, wie Valls vermutete. Der rötliche Schimmer einer Kerze oder Öllampe umzüngelte eines der geschlossenen Fenster. Vom Rücksitz des Autos aus studierte der Direktor in aller Ruhe das Szenario. Nach mehreren Minuten beugte er sich vor und fragte den Fahrer:
    »Jaime, sehen Sie das Haus links, dort vor der Garage?«
    Das war das erste Mal, dass ihn der Direktor mit seinem Vornamen ansprach. Irgendetwas an diesem unversehens freundlichen Ton ließ ihm die gewohnte Distanziertheit wünschenswerter erscheinen.
    »Das Häuschen, meinen Sie?«
    »Genau. Da sollen Sie hingehen und anklopfen.«
    »Ich soll dort hineingehen? In die Fabrik?«
    Der Direktor ließ einen ungeduldigen Seufzer fahren.
    »Nicht in die Fabrik. Hören Sie mir gut zu. Sie sehen das Haus, nicht wahr?«
    »Jawohl.«
    »Sehr gut. Also, Sie gehen zum Eingangsgitter, zwängen sich durch die Stangen, gehen zu dem Haus und klopfen an die Tür. Bis dahin alles klar?«
    Der Fahrer bejahte ohne große Begeisterung.
    »Schön. Nachdem Sie angeklopft haben, wird Ihnen jemand öffnen. Sobald das geschieht, sagen Sie: ›Durruti lebt.‹«
    »Durruti?«
    »Unterbrechen Sie mich nicht. Sie wiederholen, was ich Ihnen gesagt habe. Man wird Ihnen etwas übergeben. Wahrscheinlich einen Koffer oder ein Bündel. Sie bringen es her, und das wär’s auch schon. Einfach, nicht wahr?«
    Der Fahrer war bleich und starrte in den Rückspiegel, als erwarte er, jeden Moment irgendjemand oder irgendetwas aus den Schatten treten zu sehen.
    »Ganz ruhig, Jaime. Es wird nichts passieren. Ich bitte Sie um diesen persönlichen Gefallen. Sagen Sie, sind Sie verheiratet?«
    »Vor etwa drei Jahren habe ich geheiratet, Herr Direktor.«
    »Aha, sehr gut. Und haben Sie Kinder?«
    »Ein zweijähriges Mädchen, und meine Frau ist guter Hoffnung, Herr Direktor.«
    »Die Familie ist das Allerwichtigste, Jaime. Sie sind ein guter Spanier. Wenn Sie nichts dagegen haben, gebe ich Ihnen als vorgezogenes Taufgeschenk und zum Zeichen meiner Dankbarkeit für Ihre hervorragende Arbeit hundert Peseten. Und wenn Sie mir diesen kleinen Gefallen erweisen, werde ich Sie für eine Beförderung vorschlagen. Wie fänden Sie denn eine Bürotätigkeit in der Diputation? Ich habe gute Freunde dort, die mir sagen, dass sie charaktervolle Männer suchen, um das Land aus der Kloake zu ziehen, in die es die Bolschewiken hineingeritten haben.«
    Bei der Erwähnung des Geldes und der guten Aussichten trat ein schwaches Lächeln auf die Lippen des Fahrers.
    »Es wird doch nicht gefährlich sein, oder?«
    »Jaime, ich bin es doch, der Herr Direktor. Würde ich Sie wohl um etwas Gefährliches oder Illegales bitten?«
    Schweigend schaute ihn der Fahrer an. Valls lächelte ihm zu.
    »Wiederholen Sie, was Sie zu tun haben, los.«
    »Ich gehe zur Tür dieses Hauses und klopfe an. Wenn man aufmacht, sage ich: ›Es lebe Durruti.‹«
    »›Durruti lebt.‹«
    »Genau, ›Durruti lebt.‹ Man gibt mir den Koffer, und ich bringe ihn her.«
    »Und wir fahren nach Hause. Ein Kinderspiel.«
    Der Fahrer nickte, stieg nach einem Moment des Zögerns aus und ging los. Valls beobachtete, wie seine Gestalt durch das Lichtbündel der Scheinwerfer schritt und zum Gittertor kam. Dort wandte er sich einen Augenblick um und sah zum Wagen zurück.
    »Los, mach schon, du Idiot«, murmelte Valls.
    Der Fahrer zwängte sich durch die Stangen und ging, Trümmern und Unkraut ausweichend, langsam auf die Haustür zu. Der Direktor zog den Revolver aus der Mantelinnentasche und spannte den Hahn. Vor der Tür blieb der Fahrer stehen. Valls sah ihn zweimal anklopfen und dann warten. Es verging fast eine Minute, ohne dass etwas geschah.
    »Noch einmal«, murmelte Valls für sich.
    Jetzt schaute der Fahrer wieder zum Auto, als wüsste er nicht weiter. Auf einmal erschien in der vorher geschlossenen Tür ein Hauch gelblichen Lichts. Valls sah den Fahrer die Losung aussprechen und dann lächelnd abermals zum Auto zurückschauen. Der aus nächster Nähe abgefeuerte Schuss zerschmetterte ihm die Schläfe und durchdrang den Schädel. Auf der anderen Seite spritzte das Blut heraus, und der Körper, bereits Leiche, hielt sich im Pulverdampf noch einen Augenblick auf den Füßen und sackte dann wie eine zerbrochene Puppe zu Boden.
    Hastig wechselte Valls vom Rücksitz ans Steuer des Studebaker. Mit der linken Hand den Revolver auf dem Armaturenbrett abstützend und in Richtung Fabrikeingang zielend,

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