Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
verheiratete Männer und Frauen vorbeikommen …«
Ich las das Schild noch einmal, irgendetwas klang bei mir an, aber ich wusste es nicht einzuordnen.
»Ihr Name kommt mir bekannt vor …«
»Ich hatte auch schon bessere Zeiten. Vielleicht von damals.«
»Ist das Ihr richtiger Name?«
»Ein Nom de Plume. Ein Künstler braucht einen Beinamen, der seiner Aufgabe gerecht wird. In meinem Geburtsschein steht Jenaro Rebollo, aber wer vertraut schon jemandem mit einem solchen Namen das Verfassen seiner Liebesbriefe an … Was halten Sie vom Angebot des Tages? Ein leidenschaftlicher oder sehnsüchtiger Brief gefällig?«
»Ein andermal.«
Der Schreiber nickte resigniert. Er folgte meinem Blick und runzelte neugierig die Stirn.
»Sie beobachten das Hinkebein, nicht wahr?«
»Kennen Sie ihn denn?«
»Seit etwa einer Woche sehe ich ihn täglich hier vorbeikommen und dann vor dem Schaufenster des Juweliers haltmachen und verzückt hineinstarren, als wäre statt Ringe und Halsketten der Hintern der Bella Dorita ausgestellt.«
»Haben Sie einmal mit ihm gesprochen?«
»Einer meiner Kollegen hat ihm neulich einen Brief ins Reine geschrieben – da ihm Finger fehlen …«
»Wer war das?«
Der Schreiber schaute mich zögernd an, wohl weil er befürchtete, mit einer Antwort einen potentiellen Kunden zu verlieren.
»Luisito. Der dort drüben, neben der Casa Beethoven, der aussieht wie ein Priesterseminarist.«
Zum Dank wollte ich ihm ein paar Münzen geben, doch er lehnte ab.
»Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit der Feder, nicht mit dem Schnabel. Davon gibt’s mehr als genug in der Gegend. Wenn Sie eines Tages etwas in grammatischer Richtung benötigen, wissen Sie ja, wo Sie mich finden.«
Er reichte mir eine Visitenkarte, getreues Abbild des Schildes an seinem Häuschen.
»Montag bis Samstag, von acht bis acht«, ergänzte er. »Oswaldo, Soldat des Wortes, Ihnen und Ihren Briefangelegenheiten zu dienen.«
Ich steckte die Karte ein und bedankte mich für seine Hilfe.
»Da läuft Ihnen Ihr Tauberich davon«, sagte er.
Ich wandte mich um und sah, dass sich der Fremde wieder in Gang gesetzt hatte. Eilig holte ich den Abstand auf und folgte ihm die Ramblas hinunter bis zum Eingang des Boquería-Markts, wo er abermals stehen blieb und das Schauspiel von Ständen und das Treiben der Menschen betrachtete, die beladen mit appetitlich aussehenden Lebensmitteln entweder herein- oder herausströmten. Er humpelte zur Pinocho-Theke und hievte sich mühsam, aber eifrig auf einen der Hocker. Eine halbe Stunde lang versuchte er all die Köstlichkeiten zu verzehren, die Juanito, der Benjamin des Hauses, nach und nach vor ihn hinstellte, aber ich hatte den Eindruck, dass ihm die Gesundheit kein großes Prassen erlaubte und dass er vor allem mit den Augen aß, als erinnerte er sich beim Bestellen der Tapas und Häppchen an Zeiten kräftigeren Zulangens. Der Gaumen genießt nicht, er erinnert sich bloß. Sich in seine gastronomische Abstinenz und die stellvertretende Betrachtung fremden Kostens und Lippenleckens schickend, bezahlte der Unbekannte schließlich und setzte seine Wanderung bis zur Mündung der Calle Hospital fort, wo durch eine Fügung von Barcelonas unnachahmlicher Geometrie eines der großen Opernhäuser des alten Europas und eines der heruntergekommensten Hurenviertel der nördlichen Hemisphäre aufeinandertrafen.
5
Zu dieser Stunde wagte sich die Besatzung so mancher im Hafen vor Anker liegenden Frachter und Kriegsschiffe ramblasaufwärts, um Gelüste unterschiedlichster Art zu befriedigen. Angesichts der großen Nachfrage hatte sich an der Ecke bereits das Angebot in Form einer Reihe von Mietdamen formiert, denen man den hohen Kilometerstand ebenso ansah wie ihren durchaus erschwinglichen Grundtarif. Ich guckte scheu auf die taillierten Röcke über Krampfadern, auf purpurne Blässen, deren Anblick weh tat, und welke Gesichter – ein Gesamteindruck von letzter Station vor dem Ruhestand, der alles andere als Wollust auslöste. Um hier anzubeißen, musste ein Seemann viele Monate auf hoher See zubringen, dachte ich, doch zu meiner Überraschung blieb der Fremde stehen, um mit zwei dieser von vielen blütenlosen Lenzen rücksichtslos gebeutelten Damen zu kokettieren.
»Na, Herzchen, wenn ich dir einen runterhole, biste gleich zwanzig Jahre jünger«, hörte ich eine von ihnen sagen, die als Großmutter des Schreibers Oswaldo hätte durchgehen können.
Damit bringst du ihn nur um, dachte ich. Wohl in
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