Bassus (German Edition)
auch“, verteidigte ihn Franzi, „Er liest viel. Und er macht Kung-Fu.“
Kurz vor Mitternacht saß Gwanwyn in ihrem eigenen Wohnzimmer. Vor ihr auf dem Couchtisch lag ein bronzenes Medaillon. Und wie immer, wenn sie es betrachtete, stiegen die widersprüchlichsten Gefühle in ihr auf. Unbeschreiblicher Schmerz. Erleichterung darüber, dass sie entkommen war. Und seit einigen Monaten die Angst, dass bald alles vorbei sein konnte.
Sie hatte ein großes Unrecht begangen, als sie damals für ihre Rettung gesorgt hatte. Aber fast ein Vierteljahrhundert lang hatte sie jeden Gedanken daran abgewürgt. Irgendwie hatte sie gehofft, dass die Sache erledigt war. Bis das Manuskript aufgetaucht war - und alles wieder wie gestern vor ihr stand. Die Schreie. Das Klirren der Waffen. Der Brandgeruch. Der Gestank nach Blut und Tod. Ja, sogar die Narbe an ihrem Knie schmerzte seit neuestem.
Sie schloss die Augen.
Die beiden Männer sehen einander schweigend an. Langsam zieht der Druide sein Schutzmedaillon über den Kopf und reicht es dem Soldaten.
Das mächtigste Amulett ihrer Religion. Und er macht es dem Todfeind zum Geschenk!
Warum nur?
Gwanwyn öffnete ihre Augen wieder. Sie hatte kein Recht, zu urteilen.
Entschlossen nahm sie das Medaillon in die Hand. Sofort spürte sie seine ungeheure Kraft. Wie jedes Mal, seit das Manuskript gefunden worden war. Das Summen in ihren Ohren wurde immer lauter. Die Kabel mehrerer Überlandtrassen schienen durch ihren Körper zu laufen.
Sie musste das Unrecht wiedergutmachen! Aber wie lange würden ihr die Götter noch Zeit geben? Würde sie es rechtzeitig schaffen? Und wenn nicht? Musste sie dann zurück? O ihr Götter, nur das nicht. Nicht zurück in diese Hölle!
Das verschlungene Ornament auf der Vorderseite wurde lebendig und wand sich in immer schnelleren Bewegungen. Gwanwyn wurde schwindelig. Schnell drehte sie es um. Hier standen lediglich die Buchstaben T.F.B. Sie strahlten eine große Ruhe aus.
Die Initialen seines Namens. Er hatte sie selbst eingraviert.
Und wieder sah sie ihn vor sich. So anders als die anderen Soldaten. Mitfühlend.
Doch das hatte sie erst später begriffen.
Und er war jung. Höchstens neunzehn oder zwanzig.
Jetzt wäre er also Mitte vierzig.
Falls er so lange überlebt hatte.
Sie legte das Medaillon zurück auf den Couchtisch. Es war nicht schwer gewesen, seinen Namen herauszufinden. Ein Reitersoldat aus Thrakien. Da gab es bei T.F.B. nicht allzu viele Möglichkeiten.
Sie öffnete ihr Notebook und öffnete die Datei „Bassus“. Zum sicher hundertsten Mal überflog sie den Brief aus dem 1. Jahrhundert nach Christus. Danach betrachtete sie das Foto des Grabsteins, der hier im Museum stand. Doch so sehr sie sich auch bemühte, eine Erklärung zu finden - die Informationen widersprachen sich.
Es gab daher nur einen Weg: Sie musste bei jedem Schritt, den sie machte, bei jeder Person, der sie begegnete, aufmerksam in sich hineinhorchen und das befolgen, was ihre innere Stimme ihr gebot.
So war sie bis hierher gekommen. Nach Köln.
Und so war sie auf Tony Fuhrmann aufmerksam geworden.
Er hatte ein flaues Gefühl im Magen. Uwe hatte eine Revanche gefordert. Und ausgerechnet heute sollte der Kampf stattfinden. Es war das letzte, wonach Tony sich im Moment fühlte. Doch er konnte ja schlecht ablehnen.
Zu allem Unglück spürte er, dass von Uwe eine neue, ungewohnte Energie ausging. Und ausgerechnet heute gelang es ihm selbst nicht, sein eigenes Kraftfeld zu aktivieren.
Sie verneigten sich voreinander und legten los. Während er immer noch dabei war, in die mentale Verfassung eines Siegers zu kommen, hatte Uwe ihm plötzlich einen solchen Schlag verpasst, dass er zu Boden ging und mit dem Kopf aufschlug. Ihm wurde schwarz vor Augen. Trotzdem versuchte er sofort, sich wieder aufzurichten. Shifu Reinhold, der neben ihm kniete, wollte ihm dabei helfen. Doch Tony stieß ihn zur Seite.
Zuerst knickte er weg, beim zweiten Versuch klappte es. Schwankend stand er wieder auf den Beinen. Aber wenn Reinhold ihn nicht gestützt und zur Bank geführt hätte, wäre er wieder umgekippt.
„Siggi, du musst in ein Krankenhaus.“
„Ich bin okay.“
„Du könnest eine Gehirnerschütterung haben.“
„Mir fehlt nichts.“
„Aber falls doch, könnten deine Eltern den Club belangen.“
Ach, daher wehte der Wind.
„Wenn du dich nicht ins Krankenhaus bringen lässt, werde ich den Vorfall deinem Vater melden“, fuhr Reinhold fort.
Scheiße, dann flog
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