Bassus (German Edition)
Melanie zum Fahrstuhl schob, wurde ihm immer unwohler zu Mute.
Oben angekommen, brachte er sie in ihr Zimmer. Solange Frau Zenker im Haus war, würde nichts geschehen. Roland war noch nie vor Zeugen die Hand ausgerutscht.
Hinter den Kulissen des Römisch-Germanischen Museums schaltete Dr. Wolfgang Scheffler seinen PC aus und bemerkte erst jetzt, dass es draußen schon dunkel war. Der Schnee hatte sich in Schneeregen verwandelt und schmolz, sobald er den Boden berührt hatte. Auf dem nassen Pflaster spiegelten sich die Weihnachtslichter der Stadt.
Er hörte, wie Schritte aus dem Büro links von ihm kamen und an seiner Tür vorbei gingen. Gwanwyn Evans. Sie war sicher wieder auf dem Weg zum Kopierer. Er öffnete seine Tür, und wie er vermutet hatte, sah er Gwanwyn in ihrem bunt karierten Schottenrock, weiß und grün gestreiften Wollstrumpfhosen und einem weiten Norwegerpullover. Sie lief jedoch nicht zum Kopiergerät, sondern schlüpfte durch die Tür, die zu den Exponaten führte.
Was wollte sie dort? Die für die Öffentlichkeit zugänglichen Teile des Museums waren bereits geschlossen und wurden gerade von den Putzfrauen gereinigt. Zuerst wollte er Gwanwyn nachschleichen, doch dann fand er, dass das blöde war, und kehrte in sein Zimmer zurück.
Während er seinen Schreibtisch aufräumte, kreisten seine Gedanken weiter um die unkonventionelle junge Frau, die normalerweise an der Universität von Bangor in Wales unterrichtete. Mit ihrer komischen Kleidung sah sie weiß Gott nicht wie eine ernsthafte Wissenschaftlerin aus, aber sie hatte einen Doktortitel in keltischer Geschichte und seither noch zwei weitere Bücher veröffentlicht. Ihre Muttersprache war Walisisch. Er beneidete sie darum. Er hatte sich eine Zeitlang ebenfalls mit keltischen Sprachen herumgequält, war aber dann lieber bei Latein geblieben. Doch Gwanwyn beherrschte auch die lateinische Sprache wie sonst niemand, den er kannte.
Was sie jedoch hier in Köln wollte, verstand er nicht so richtig. Sie sagte, sie wolle die Lebensläufe von römischen Reitersoldaten rekonstruieren, die sowohl in Britannien als auch in Germanien gedient hatten. Was für ein seltsames Forschungsthema. Außer den Informationen auf ihren Grabsteinen war doch so gut wie nichts über sie bekannt! Er musste da noch einmal nachbohren. Andererseits – was ging es ihn an? Gwanwyn Evans kostete das Römisch-Germanische Museum nicht einen Cent, denn sie finanzierte ihren Forschungsaufenthalt selbst.
Außerdem hatten seine Frau Elisabeth und seine Tochter Franziska an Gwanwyn einen Narren gefressen.
Nachdem Tony seine Hausaufgaben in Melanies Zimmer gemacht hatte, klickte er sich wie fast jeden Tag im Internet durch medizinische Forschungsberichte zu ihrer Krankheit. Melanie sah sich einen Zeichentrickfilm an und kicherte hin und wieder. Als er den PC ausmachte und aufstand, sah sie zu ihm hoch.
„Du musst dir den Film ansehen. Der ist lustig.“
Er hob einen der Kopfhörer hoch und sagte in ihr Ohr: „Ich muss zuerst noch etwas in meinem Zimmer erledigen. Das dauert ein bisschen.“
„Okay“, antwortete sie.
Nie beklagte sie sich über irgendetwas.
In seinem Zimmer zog er aus dem obersten Fach des Bücherregals mehrere Taschenbücher über alternative Heilmethoden. Doch an ihnen war er im Moment ausnahmsweise nicht interessiert. Er brauchte die Digitalkamera mit dem mächtigen Zoom, die er hinter den Büchern versteckt hatte. Erst gestern hatte er sie in einem Medienmarkt mitgehen lassen. Wie viele andere Sachen, die er gestohlen hatte. Die meisten verkaufte er an einen Typen aus dem Kampfsportclub, der sie über das Internet vertickte. Von den Einnahmen bezahlte Tony die Gebühr für den Club. Den Großteil jedoch sparte er und bewahrte ihn in einem Versteck auf.
Er hoffte, dass die Kamera bald zum Einsatz kommen konnte, denn er wollte damit seine und Melanies Situation entscheidend verbessern.
Von unten hörte er Geräusche. Kein Zweifel, Roland verließ noch einmal das Haus. Tony steckte die Kamera in eine Sporttasche und wartete, bis der Chauffeur mit dem Wagen vom Grundstück gefahren war. Dann rannte er zu Melanie.
„Ich gehe noch mal aus dem Haus. Roland ist weg.“
„Fährst du ihm wieder nach?“
„Ja.“
„Pass auf, Tony.“
„Du musst keine Angst um mich haben.“
Er schlich die Treppe hinunter. Jetzt bloß nicht seiner Mutter begegnen! Dann rannte er zur Garage und holte sein Fahrrad.
Die Kälte war messerscharf. Der
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