Batmans Schoenheit
erreicht, was er hatte erreichen wollen. Er verfügte über eine Adresse. Nur das zählte.
Nein, er würde sich von Swedenborg nicht zu Tode rätseln lassen.
Achtes Bild:
Liverpool im Sommer
Es war der Lärm der Müllwagen, der Red früh am nächsten Morgen weckte. Ein ausgesprochen mächtiger Lärm, vielleicht, weil in dieser Welt der Müll so wichtig war, oder die Müllmänner. Es ist jedenfalls mehr als eine Legende, daß in Wien die Entleerung der Abfallbehälter noch wesentlich lauter vor sich geht als an anderen Orten. Und nur ein Konservativer oder Schelm würde meinen, daß dies irgendwie mit dem Schlagwort vom roten Wien zusammenhängt.
Etwas, das Red eigentlich hätte gefallen müssen, diese bestimmte farbliche Fixierung der Stadt, wobei es in der Tat so war, daß von der Arbeiterbewegung der Zwischenkriegszeit nur die Farbe übriggeblieben war, nicht ganz so blutrot, vielmehr jene Anämie aufweisend, die nun mal ein echtes Rosa ausmacht und eher einen Panther bezeichnet als eine politische Richtung.
Anstatt nun aber den möglicherweise rosaroten Farbklang lärmender Müllmänner zu goutieren, war Red einfach nur sauer, so früh aus dem Bett gejagt worden zu sein. War er einmal wach, so war da nichts, was ihn zurück in den Schlaf hätte finden lassen. Darum ging er unter die Dusche, rasierte sich mit der gewohnten Akkuratesse, legte sich eine feine Schicht Aftershave über die untere Gesichtshälfte und schlüpfte in ein Hemd, dessen Fasern sich halbwegs eigneten, die Feuchtigkeit, die ihm seine Haut an diesem Tag mit Sicherheit bescheren würde, aufzunehmen und abzugeben. Die Nase registrierte bereits die Hitze des späteren Tages. Auch die Achseln zogen sich in ängstlicher Erwartung ein wenig zusammen.
Unten im Frühstücksraum war Red um diese frühe Stunde beinahe alleine. Auf ein weiches Ei aber verzichtete er, denn aus irgendeinem Grund sind Hoteleier verhext. Nicht nur einfach härter. Man könnte meinen, diese Eier seien nicht eigentlich echt. Allerdings weniger im Sinne einer Fälschung wie bei Klimtzeichnungen oder Geldscheinen. Sondern, als wären sie quasi auf dem Weg vom Huhn zum Hotel ausgetauscht worden, durch Doppelgänger.
Auf seinen Kaffee freilich bestand Red. Er genoß zwei Tassen und noch eine halbe dazu, bevor eine Reisegruppe über das Frühstücksbüfett herfiel. Augenblicklich erhob sich Red und verließ den Raum. Am Empfang bat er um einen Straßenplan von Wien. Er hatte noch jede Menge Zeit, bis der kleine, fortgesetzt namenlose, wenngleich nicht mehr adresslose Buchladen laut der Werbeschrift aufsperren würde, nämlich um zehn Uhr dreißig. Darum wollte er auf das übliche Taxi verzichten und sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Weg machen.
Angesichts des Umstandes, daß Swedenborg ihn offensichtlich zwingen wollte, zwei Monate in dieser Stadt zu verbleiben, ganz gleich, als wie sinnvoll oder sinnlos sich dies erweisen würde, bot es sich für Red an, mit den hiesigen Gepflogenheiten und Eigenarten vertraut zu werden. Im Inneren eines Taxis aber ist man nie an dem Ort, den dieses Taxi durchquert, sondern in einem eigenen, mystischen, zeitlosen Kosmos. Im Taxi sitzend, erfährt man nicht etwas über die Stadt, sondern über das Taxi, über den Fahrer, über das Leben nach dem Tod. Der Taxifahrer kennt alles, nur nicht die Stadt, durch die er seinen Wagen gerade steuert. Seine angebliche »Kenntnis von Abkürzungen« ist anhand der Länge der faktischen Fahrten ein Witz. Daß bei einigen dieser Taxifahrer Navigationssysteme mitlaufen, stimmt zwar, aber es bedeutet nichts.
Somit war das nun ein Tag, an dem Red sich mit Faltplan und einem Tagesfahrschein ausgerüstet seinen eigenen Weg ans Ziel bahnen wollte. Er stieg zur U-Bahn hinunter, eine seit den späten Siebzigerjahren fortlaufend in die Stadt gegrabene Nahverbindung von nicht geringer Eleganz. Auch in der aus diesen Anfangsjahren stammenden Station unter dem Stephansplatz fühlte man sich noch immer wie in der Zukunft, als sei hier unten ein Versprechen eingelöst worden, das man oben nicht hatte halten können. Nicht nur wegen der Übermacht des Historischen. Nein, da im Reich der Erde hatte man sich tollkühn und im wahrsten Sinne wegweisend gezeigt, in einer für das Unterirdische ja nicht ganz unberühmten Stadt, um dann oben, im grellen Licht, jeden Mut zu verlieren.
Daß es den Wienern gelungen war, eine wunderschöne und unsere utopischen Vorstellungen einlösende U-Bahn zu bauen, jedoch mit der
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