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Batmans Schoenheit

Batmans Schoenheit

Titel: Batmans Schoenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Belüftung der Stationen und der Temperierung der Züge nicht zurechtkam, widerspricht in keiner Weise der Modernität dieser Anlage. Denn genau so haben wir uns doch die Zukunft vorgestellt: schnittig, rasant, schlank, aber mitnichten wohlriechend und von milder Temperatur. In fast allen Zukunftsromanen wird es entweder schrecklich heiß oder schrecklich kalt, regnet es die ganze Zeit, vertrocknet alles und so weiter. Nein, diese U-Bahn paßte perfekt in das Bild, das wir uns einst gemacht hatten und welches ja noch immer bestand. Um so mehr, als oben am Tage sich so gar nichts erfüllt hatte. Keine fliegenden Taxis, keine schwebenden Züge, keine riesenhaften Hologramme, keine Aufzüge zum Mond. – Richtig, die Leute waren noch rücksichtsloser geworden, das schon. Aber Rücksichtslosigkeit allein ist irgendwie zu wenig, um sagen zu können, unsere Visionen seien Wirklichkeit geworden.
    Unten in der Erde aber … Red geriet in die Masse der Passanten, die über die Gänge und Rolltreppen dahin und dorthin eilten und sich dabei in der gekonnten Weise von Beinahezusammenstößen bewegten. Bei aller Enge und eingeschränkter Platzwahl entstand der Eindruck, die einzelnen Menschen würden weniger einander ausweichen, als einer auf den anderen zusteuern, um im Fahrtwind des eigenen Laufs haarscharf am Gegenüber vorbeizugleiten, und das in schnellster Folge. Aus der Vogelperspektive betrachtet, hätte man erkennen können, wie sehr dies alles an einen Fischschwarm erinnerte, sagen wir Makrelen, deren drehende, tanzende, wirbelnde Anordnung und kompaktes Zusammenbleiben den Zweck besitzt, die angreifenden Freßfeinde zu verwirren. Fragte sich im Falle der durch die Schlünde der Unterführungen hetzenden, trotz der verschiedenen Richtungen im Endeffekt sich auf der gleichen Schleife bewegenden Menschen, wer da ihre Gegner waren, die sie auf diese Makrelenart zu irritieren versuchten. Ja, wer waren die natürlichen Freßfeinde der Wiener?
    Red befand sich nun in jener Gruppe dieses in sich verdrehten und verknoteten Schwarms, die auf den zehnten Bezirk zustrebte, hoch nach Favoriten, dem an Menschen reichsten Teil von Wien, dort, wo das Rot der Stadt weniger ins Rosa wechselte, sondern mehr ins Rostige, manchmal aber auch ins Apfelrote (niemals jedoch ins Kirschrote, auch nicht auf den Kirschbäumen), dafür oft ins Herbstrote, ins Braunrote und in die Tonfarben des Balkans. – Es hieß übrigens, daß die Müllmänner, wenn sie in diesem Bezirk unterwegs waren, sich sehr viel leiser verhielten, sehr viel weniger das Aufwecken der Bürger im Sinne hatten als anderswo. Na gut, niemand hatte das je bewiesen. Aber wenn man genau hinschaut, dann ist fast gar nichts bewiesen außer den paar Naturgesetzen. Fast alles in der Welt ist ein Gerücht.
    Jedenfalls war es eine ganz andere Stadt, in die Red nun geriet, nachdem er aus der U-Bahn wieder nach oben gespült worden war. Obgleich er erneut auf einer Fußgängerzone stand, fehlte hier der erstickende Zauber ganzjährigen Advents. Er roch den Staub der Stadt, aber er roch auch den Duft von frischem Brot. Solcherart verführt, begab er sich auf einen Markt, einen Viktualienmarkt, in dessen Innerem eine basarartige Dunkelheit und Enge herrschte, ohne daß in diesem Schatten die Kühle zu ihrem Recht gekommen wäre. Überall dampfte es, selbst die Gurken schienen zu dampfen, grüner Dampf. Dazu der Dampf erregter Stimmen, eigentlich wie im Winter, wenn es aus den Mündern raucht. Red erstand ein Fladenbrot und dazu Schafskäse und Oliven, die er auf einer Bank verspeiste, umgeben von Tauben und übervollen Müllbehältern. Überall standen Männer herum und bildeten kleine Kreise, Männer unterschiedlicher Nationalitäten, während sich auf der autofreien Einkaufsstraße die Pensionäre und Pensionisten versammelten, ihrerseits heftig diskutierend, hier nicht nur die Männer, sondern viele virtuos keifende Frauen, mehr dicke als dünne. Dies war nie ein Bezirk gewesen, wo man viel vom Schlankheitswahn und ähnlichem gehalten hatte. Selbst die jüngeren Frauen, gleich welcher Abstammung, schienen sich darin zu gefallen, ihre Fettpolster zu präsentieren. Auf eine verquere Weise war Favoriten eine Art Amerika. Man könnte sagen, ein rostrotes Amerika.
    Nachdem Red fertiggegessen hatte, spazierte er auf der Fußgängerstraße hoch zu einem stark belebten Platz, über dem der wuchtige Turm eines burgartigen Gebäudes thronte. Dieses Bauwerk war Mitte der Zwanzigerjahre errichtet

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