Batmans Schoenheit
Entwicklung anmutete, die vor langer Zeit mit eben jenen majestätischen Reptilien begonnen hatte.
Neun Euro also. Cheng überlegte, wie weit ihn die Österreichische Bundesbahn für neun Euro transportieren würde. Oder Germanwings, die ja immer so angeben mit ihren Preisen. Um sich sodann als Meister der Zuschläge zu erweisen. Nein, für neun Euro kam man nicht sehr weit. Während mit dem Inhalt dieser kleiner Schachtel … Aber Cheng fürchtete nun, daß auch hier – siehe Fütterung, siehe aufwendige Aquariumsanlagen – zuschlagartige Kosten den Kunden ereilen würden.
Der Verkäufer jedoch versicherte, daß das einzige, was Cheng noch beizutragen habe, ein wenig Meersalz und ein großzügiger Schuß Leitungswasser sei, wie natürlich auch jene Liebe zur Kreatur, die eine erfolgreiche Aufzucht bedinge.
»Meine Tochter wird das machen«, äußerte Cheng, nahm die Schachtel, ließ sie dem feierlichen Anlaß entsprechend verpacken, zahlte die neun Euro und verließ das Warenhaus mit dem Gefühl, etwas Vernünftiges getan zu haben.
»Das ist kein Labrador«, sagte Lena, weniger verärgert denn belustigt, so, als habe sie in diesem Moment die jüngst eingetretene Demenz ihres Stiefvaters erkannt.
»Schau’s dir mal genau an. Es ist hochinteressant«, warb Cheng für sein Geschenk.
Im Ton deutlicher Verachtung blies Lena einen Strom warmer Luft durch ihre wie von Eiklar glänzenden Mädchenlippen und öffnete die Schachtel ein wenig ungestüm, weshalb Cheng meinte: »Du sollst die Tiere nicht umbringen, sondern züchten.«
»Schon gut, Papa«, sagte Lena. Sie sagte nicht oft »Papa«, aber wenn sie es tat, klang es zärtlich, milde und echt. Ganz offensichtlich war es auch ohne Labrador ein guter Tag für sie – immerhin hatte sie von ihrer Mutter die ersehnte Karte für ein Konzert von Tokio Hotel geschenkt bekommen −, so daß sie sich die Mühe gab, ihrem Stiefvater (der wegen dieser Karte ziemlich verwirrt war, weil er bei »Hotel« auch wirklich an Hotel dachte) die Freude zu machen, sein Geschenk halbwegs ernst zu nehmen. Obgleich ihr das zunächst schwerfiel. Vor allem angesichts der Gebrauchsanweisung, die sich offenkundig nicht an Fünfzehnjährige richtete, sondern eher an Achtjährige, wenn schon nicht an Dreijährige, wegen der verschluckbaren Kleinteile. Zudem gab es eine kleingedruckte Stelle, die sich zu allem Überfluß an die »lieben Eltern« richtete, worin diese aufgefordert wurden, ihre Kinder bei dem Experiment zu unterstützen und darauf zu achten, daß selbige Kinder die Tiere »nicht verletzen oder töten, sondern nach Möglichkeit gut behandeln.«
Doch Lena verzichtete darauf, zu erklären, daß das Babykram sei. Im Gegenteil. Sie begann nun mit einigem Interesse die Anleitung und Information zu lesen. In der Tat schien es möglich zu sein, in dem fingerhohen, sehr schmalen, an eine Minivase erinnernden Plastikaquarium Krebse zu züchten, deren Verwandtschaft an die 100 Millionen Jahre zurückreichte. In einem Päckchen lagerten winzige Eier zusammen mit der Warnung, diese nicht einzunehmen.
Schwer vorstellbar, daß ein solcherart verschweißtes, sandartiges Zeug sich in Lebewesen verwandeln könnte. Nun, es handelte sich um winzige »Dauereier«, deren vornehmste Eigenschaft darin bestand, warten zu können. Etwa bis zu dem Moment, wo eine Wiener Familie auf die Idee kam, ein kleines Gefäß mit Leitungswasser zu füllen und dieses mit einer kräftigen Prise Meersalz zu versetzen. – Das Wiener Leitungswasser ist ja bekanntermaßen das beste auf der Welt und jeder Salzkrebs, der darin groß wird, zu beneiden. Bloß fehlte im konkreten Fall das Meersalz. Cheng hatte, obwohl er ja vom Verkäufer darauf hingewiesen worden war, vergessen, ein solches zu besorgen.
»Das kann nicht wahr sein«, beschwerte sich Lena.
»Aber wirklich«, gab Ginette ihr recht.
Cheng machte ein betroffenes Gesicht, erhob sich, zog sich an und verließ das Haus, um hinüber zum Drogeriemarkt zu gehen. Als er nun dort in der Schlange stand, die sich vor der Kassa gebildet hatte, zwei Packungen Meersalz in der Hand – ein in Wien typisches Verfahren, ein Versäumnis durch Verdoppelung ausgleichen zu wollen −, da war die Betroffenheit einem tiefen Glücksgefühl gewichen. Cheng stand in diesem Drogeriemarkt wie in einer Kirche und dachte sich: »Ich liebe das Leben.«
In einer Kirche, und sei sie auch nur ein Drogeriemarkt, läßt sich das natürlich eher denken, als etwa mitten auf einem
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