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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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interessant.
Es war unklar und vage, für sie nicht verständlich, und ließ sie dennoch
ekstatisch erschauern. Sie hatten die Trüffel fast erscharrt. Dass Malgosia
nicht so war wie sie, trat dabei unbezweifelbar zutage. Die Beweise lagen auf
der Hand. Sie war aus der vorherigen Schule geflogen, weil sie sich mit einem
Mädchen geküsst hatte! Sie war nicht normal. Sie war unnormal! Und stak wie ein
Dorn inmitten ihrer Normalität. Ihre Auszeichnungen als Musterschülerin und der
adrette Kittel waren Trug, darunter verbarg sich die Wahrheit. Lesssbische!
zischten die fast genauso Hübschen, erfreut über diese plötzliche Wendung des
Schicksals, denn einer, der auf die Nase gefallen war, gab ein besseres Opfer
ab als jemand, der nie Glück gehabt hatte, wie Dominika oder Iwona. So kam es,
dass Malgosia sich den unwiderruflich Ausgeschlossenen anschloss. Iwona wies
sie nicht zurück, und Dominika zuckte mit den Schultern, denn ihr war alles
egal. Von da an spazierten sie zu dritt über die Terrasse des Babel, wo sie die
Herrn Sledz stibitzten Extra-Starken rauchten, bis Malgosia mentholduftende
Zigaretten aus dem Pewex-Laden beisteuerte. Malgosia brachte auch einen
tragbaren Kassettenrekorder ein, wie ihn niemand im Babel hatte. Ratte, der an
einer merkwürdigen Krankheit litt, die seinen Körper mit Geschwüren überzog
und ihm seit einem halben Jahr Halsschmerzen bereitete, wurde von der Musik
angelockt und kauerte in ihrer Nähe. Sich in der Hocke wiegend und seinen
Schorf kratzend quäkte er schief zu »Zamki na Piasku«, während die Meere, die
er hatte besegeln wollen, auf immer an ihm vorüberzogen. Ratte zeigte ihnen,
wie man schwefelt, und entblößte dazu seinen mit Flechten und Wunden bedeckten
Arm. Was war Schwefeln? Man musste den Kopf eines Streichholzes mit der Zunge
befeuchten, fest auf den Unterarm drücken und einen Strich ziehen, bis die Haut
aufriss und blutete. Die Wunden entzündeten sich und brauchten Wochen, um zu
heilen, unter den Krusten trat Eiter aus, und zum Schluss blieb eine glänzende
rosa Narbe. Dominika stellte fest, dass auf diese Weise der Schmerz nach dem
Tod des Vaters ihr Besitz wurde, anstatt sie zu verschlingen und zu
überschwemmen. Wenn auf den Armen kein Platz mehr war, schrieb sie auf die
zarte glatte Haut der Schenkel in der Schnörkelschrift der Elfensprache.
    In diesem Jahr
traf der Frühling früher als sonst in Walbrzych ein, und schon Anfang April
schlug eine Hitzewelle in die unbelaubten Bäume. Kurz darauf kamen die
Schwalben und begannen dort, wo keine Vogelscheuchen hingen, ihre Nester aus
Lehm und Speichel zu bauen. Sie schienen noch entschlossener als früher, als
hinge die ganze Schwalbenwelt davon ab, ob sie in diesem Jahr ihre Jungen auf
Piaskowa Gora aufziehen konnten. Da sind die Vollscheißer schon! sagte Jadzia
so wie jedes Jahr, und in den Fensterecken ihrer Wohnung knatterten Plastikbeutel
mit der Aufschrift »Lebensmittelläden Spolem«. Am sechsundzwanzigsten April
wehte den ganzen Tag ein trockener Ostwind, und auf allen Baikonen im Babel
trocknete Wäsche. Die Mütter klammerten Windelsegel an die Wäscheleinen und
stellten die Kinderwagen mit den Säuglingen in den flatternden Schatten.
Dominika, Malgosia und Iwona begrüßten den Frühling auf dem Dach mit dem
ersten Rübezahl-Wein ihres Lebens und wälzten sich hinterher in den wie
Quecksilber glitzernden Sonnenstrahlen, denn ein Sturm brachte das Dachfloß
unter einem plötzlich schiefhängenden Himmel zum Schwanken. Am Abend, als
Dominika mit einer Schüssel vor sich auf der Couch lag und ihr Erbrechen auf
die eindeutig nicht mehr frischen Frikadellen in der Schulkantine schob, kam
die Lepka, um Jadzia zu erzählen, dass bei den Russkis irgendein Atom in einem
Kraftwerk hochgegangen war. Am Nachmittag hatte ihr Mann mit dieser seltsamen
Nachricht aus der BeErDe angerufen. Ein Strahlungsatom, das hatte er gesagt
und sie angewiesen, die Fenster zu schließen. Denn so ein Strahlungsatom konnte
für junge Menschen sehr schädlich sein. Das war so etwas wie die Bombe, die sie
im Krieg auf Japan oder China abgeworfen hatten. Bevor sie noch Weiteres
fragen konnte, wurde Lepki mitten im Wort abgeschnitten, man weiß ja, wie teuer
solche Auslandsgespräche sind, wenn man das auf unser Geld hier umrechnet.
Jetzt suchte sie Jadzia auf, um sich zu beraten, ob man sich wirklich Sorgen
machen sollte, vielleicht hatten die Deutschen ihren Kerl im Kopf etwas
verwirrt. Wenn da was in die Luft gegangen wäre,

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