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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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dann müsste man doch etwas
davon sehen können? Feuer zum Beispiel müsste man doch sehen, Strahlen? Aschewolken?
Jadzia dämmerte etwas von Jod, Strahlenkrankheit und Hiroshima, schließlich
hatte sie ja Krankenschwester gelernt, wenn das auch weit zurücklag. So
klopften sie bei Krysia Sledz, denn drei Köpfe denken besser als zwei, und sie
traten auf den Balkon hinaus, um sich nach Anzeichen einer Katastrophe
umzuschauen. Doch die Welt wirkte vertraut und normal, mit einem resedagrünen
Streifen, wo die Sonne im Westen untergegangen war, und dichter werdender
Dunkelheit im Osten, keine Spur von Hiroshima, Ruinen und Trümmern. Sie schnupperten
mit ihren drei Nasen, aber es roch auch nicht verbrannt, deshalb sahen sie
davon ab, die Fenster zu schließen, denn es war schwül, und die Schwalben
tschilpten wie vor einem Gewitter.
    Als sich
Dominika am Morgen des siebenundzwanzigsten April mit schwerem Kopf nach einer
schlechten Nacht auf den Schulweg machte, stieß ihr Fuß an ein kleines gefiedertes
Körperchen, das die Flügel wie zum Flug ausgebreitet hatte. Hunderte toter
Vögel lagen rings um den Babel, mit weißen Bäuchen und schwarzen Flügeln, die
Augen wie schwarze Tropfen auf dem regennassen Gehsteig. Die Schwalbenseuche
in Walbrzych war auf Faktoren zurückzuführen, die nichts mit der Katastrophe
in Tschernobyl zu tun hatten, und es war reiner Zufall, erklärte man den
Leuten, aber niemand glaubte an den Vogelvirus aus Afrika. Wie weit liegt denn
Afrika, und die Russkis sind gleich hinterm Zaun, und Atom hin, Atom her, jeder
weiß, dass man denen nicht trauen kann.
     
    ***
     
    Früher, seufzte
Magister Demon beim Verspeisen ihres Wurstbrötchens im Lehrerzimmer, früher gab
es so etwas wie Ordnung, da nahmen sie einen an die Kandare, aber jetzt bringen
sie friedliche Leute doch nur durcheinander. Die Russkis sind ja noch besser
als diese Demokratie, aber Ordnung halten, das kann keiner so gut wie die
Deutschen. Hoho, das können sie, die Deutschen. Bei ihnen geht es wie am
Schnürchen. Eins, zwei, drei, und alles läuft wie ein Uhrwerk. Da begriff Piotr
Zatryb, genannt Storch, dass es ihm viel weniger schaden würde, wenn die
anderen gleich und ohne weitere Einzelheiten von seiner kriminellen
Vergangenheit erführen, als wenn sie herausbekämen, dass er nicht Magister war,
sondern Doktor und wegen Aktivitäten im Untergrund von der Uni geflogen war.
Ihn hatte es nach Piaskowa Göra verschlagen, und er wusste, dass er nicht
lange hier bleiben würde, doch Storch war so gebaut, dass er unter allen Bedingungen
mit Volldampf arbeitete und seine Energie nie drosselte.
    Deshalb
bemerkte er wahrscheinlich, was den anderen Lehrern verborgen geblieben oder
als Ungehorsam und Marotte und nicht als Talent erschienen war. Die Schülerin
in der letzten Bank war in der Tat nicht imstande, Definitionen genau so zu
wiederholen, wie sie im Lehrbuch standen, ihre Sätze waren kurz und
bruchstückhaft, doch sie fand Abkürzungen der Lösungswege, als wäre der vorgesehene
Pfad zu langweilig und langwierig für sie. Wenn sie an die Tafel gerufen wurde,
strich sie ohne zu überlegen mit festem Druck der Kreide die richtigen Zahlen
und Zeichen durch oder schrieb einfach das Ergebnis auf. Klassenarbeiten hatte
sie nach fünfzehn Minuten fertig und hielt dann das Blatt so, dass ihre vor
Anstrengung rot angelaufene Nachbarin abschreiben konnte. Auf die Frage, wie
sie so schnell, innerhalb weniger Sekunden, auf die Lösung gekommen war, die
mehrere Rechenschritte erforderte, antwortete sie: Das kann man doch sehen.
Sehen? fragte der Storch nach. Und wie bitte sehr, wenn ich fragen darf? Im
Kopf, antwortete die Schülerin, erstaunt, dass ihr außer Magister Demon
überhaupt jemand Beachtung schenkte, und erwartete eine Fünf oder einen Eintrag
im Klassenbuch. Dominika erinnerte Zatryb an die schwarze Katze Mara, die er
als Kind auf einem Abfallhaufen gefunden und zu sich genommen hatte, sie war
das erste Lebewesen, das er sich selbst ausgesucht hatte, um es zu lieben.
Retten und lieben, das sollte für Storchs ganzes Leben prägend bleiben. Die
Schülerin der letzten Klasse Dominika Chmura konnte dreistellige Zahlen im Kopf
multiplizieren. Sie verstand die Melodie der Zahlen, zog Wurzeln, als pflückte
sie Blumen, hatte die Finger immer mit Tinte bekleckst und zu kurze Ärmel, aus
denen ihre mit frischen Narben bedeckten Handgelenke ragten. Mehr brauchte
Storch nicht zu sehen. Im Lehrerzimmer, einer mit Rauch und dem Dunst

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