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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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und
was für Riesendinger! - unter dem Sofa. Der Teppichboden voll von eingetretenen
fettigen Essensresten. Die von Stefan ausgeschnittenen Füße darauf in noch
schlimmerem Zustand, sie führten zum Balkon wie die Fußspuren eines verirrten
Riesen, der sich in seiner Verzweiflung vom neunten Stock stürzen wollte.
Glitschiger Dreck zwischen den schief verlegten Kacheln im Badezimmer, ein
schimmliger Bimsstein auf dem Wannenrand, der tröpfelnde Wasserfall der
Fototapete, deren eine Ecke sich durch Feuchtigkeit gelöst hat. Jadzia seufzte
in der Vorahnung der gewaltigen Arbeit, die auf sie wartete. Die Leere, die sie
nach dem Tod ihres Mannes empfand, war völlig anders als die, die sie
verschlang, als sie eines der beiden Kinder verloren hatte. Anstelle der von
gelegentlichen Wahnanwandlungen unterbrochenen bleiernen Schwere erfasste sie
jetzt eine manische Energie. Sie hüpfte wie ein großer Strandball, prallte von
den Einrichtungsgegenständen ab und bekam blaue Flecke. Wenn nur diese Hand
nicht wäre! Wenn nur diese Hand nicht wäre, dann würde sie schon zeigen, wozu
sie in der Lage war. Sie würde das Linoleum abreißen, den Putz abschlagen, den
ganzen Babel auseinandernehmen und dann blitzsauber und desinfiziert wieder
zusammensetzen. Ganz zum Schluss machte Jadzia sich an Stefans Schrank, der,
wie sie feststellte, auf der Welt nicht viel Platz einnahm. Wer hätte das
gedacht, so ein großer Kerl, wunderte sich die frischgebackene Witwe, denn der
Tod hatte das Bild des Saufbruders und Tölpels verblassen lassen und ihr
gnädigerweise die Erinnerung an den tüchtigen, breitschultrigen Blonden
bewahrt, der sie sechzehn Jahre zuvor auf der Treppe des Walbrzycher Bahnhofs
in seinen Armen aufgefangen hatte. Sie nahm die Hemden mit den gewendeten
Kragen heraus, die filzigen Pullover und den unmodischen Anzug, der für ihre
Hochzeit genäht worden war, die Socken, Taschentücher, Unterwäsche. Das
irdische Gut von Oberbergmann Stefan Chmura fand Platz in zwei Kartons: Im
einen waren Kleidung und Schuhe, in dem anderen, kleineren ein Dutzend Nummern
der Zeitschrift Motor, darunter auch diejenige, in welcher der Lottoschein mit den fünf Richtigen
ruhte, und eine deutsche Grammatik für Fortgeschrittene. Nach kurzem
Nachdenken nahm Jadzia das Buch wieder heraus. Es würde nützlich sein, wenn die
Oma ein paar Worte deutsch spricht, damit sie sich mit dem zukünftigen
Schwiegersohn und den Enkeln in der BeErDe unterhalten kann.
    Als Dominika
nach Stefans Beerdigung zwei Zentimeter größer und in zu kurzen Hosen wieder
in die Schule kam, witterten die fast genauso Hübschen sofort den Geruch von
Schwäche. Waisenkind! zischten sie hinter ihrem Rücken. Wir sammeln für die
Armen! In der Parodie einer Bettelgeste streckten sie die Hände aus. Wer gibt
einen Groschen für eine Waise, die zu Friseur und Schneider gehen muss? Fische
sind stumm! fuhren sie der hilflosen Iwona über den Mund, als diese ihre
Freundin verteidigen wollte, und schlugen ihre Krällchen noch fester ein.
Jagienka Pasiak rügte sie mit der modulierenden Stimme eines Stars der
Schulwettbewerbe. Das arme Waisenkind kann sich nur Hering leisten! Ach, wie
sie lachten, die fast genauso Hübschen, wie sie ihre mit Mitessern betüpfelten,
kräuselten, an ihrer Nagelhaut nagten, und ihre rosa Zünglein hatten gespaltene
Spitzen. Wenn sich Dominika ein bisschen gewehrt hätte, wenigstens ein bisschen,
so wie eine Spinne, die, wenn man ein oder zwei ihrer dünnen Beinchen
ausgezupft hat, hüpfend zu fliehen versucht, dann wären sie glücklicher und
satter gewesen. Leider ging sie an Jagienka Pasiak und den fast genauso
Hübschen ohne ein Wort vorbei, in Gedanken mit jenem Tag auf der Terrasse
beschäftigt, als sie ihren Vater in der Selbstmörderecke gesehen hatte, und
damit, dass sie nichts getan hatte, denn sie hatte sich wegen seiner Glatze und
seines lila-gelb karierten Hemds geschämt. Bald überließen die Mädchen sie
deshalb den Qualen, die sie sich selbst ausgedacht hatte, nur ab und zu noch
zischten sie »Waisenkind«, wenn sie durch Zufall in ihre Nähe kam, und hielten
sich die Nase zu, weil das Waisenkind nach Hering roch. Ein besseres Opfer
fanden sie in Malgosia Lipka, die unterdessen nicht mehr in Jagienka Pasiaks
Gnaden stand. Hier witterten sie den Geruch des Sensationellen und wühlten mit
den Naschen wie Schweine nach Trüffeln. Denn etwas klebte an Malgosia wie ein
Donald-Kaugummi am Schuh. Etwas Merkwürdiges war das, aber auch

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