Bator, Joanna
packen die letzten
Butterbrote aus, wickeln das aufgeweichte Papier ab, schwärmen aus in die
umliegenden Geschäfte. Vielleicht lässt sich hier doch mehr kaufen als in
Walbrzych und dort weiterverkaufen, dann wäre der Fahrschein bezahlt.
Jadzia ist eine
der Ersten, die sie erspähen. Schwerfällig springt sie hoch, weil ihr allenthalben
ein höher ragender Kopf den Blick verdeckt. Eine elegante schwarze Limousine
fährt vor. Der Schlag geht auf, erst erscheint ein spitz zulaufender Schuh,
dann ein Bein in einer beigen Hose und schließlich der ganze Leoncio, noch
stattlicher als im Fernsehen. Um den Hals hat er ein Schälchen gebunden,
dunkelrot, glänzend, bestimmt teuer wie aus Milanöwek, in Polen würde sich nur
ein Homo-dingsbums so was umbinden, aber zu ihm passt es irgendwie, obwohl er
doch ein echter männlicher Mann ist. Die ganze Isaurenmenge begreift sofort,
was los ist, und ballt sich um das Auto, drängt möglichst dicht heran. Und
hinter Leoncio - ja! Ein zierliches Bein wird sichtbar, der Fuß in durchbrochenen
Pumps, und da ist sie, die schöne Sklavin mit den Eichhornzähnchen und dem
leichten Silberblick gleitet heraus auf das Warschauer Pflaster. Wie zauberhaft
sie ist! Jadzia und Krysia halten sich an den Händen, um auf den Spitzen ihrer
Schuhe stehend das Gleichgewicht zu halten, was nicht so einfach ist, wenn man
einen birnenförmigen Körperbau und außerdem keine Balletterfahrung hat. Mal
neigt sich die eine, mal die andere zur Seite und zieht die Freundin mit, dann
kehren sie beide wieder in die aufrechte Stellung zurück. Schon stehen Isaura
und Leoncio oben auf der erhöhten Bühne, dicht neben ihnen die Übersetzerin,
dieser Glückspilz, und außerdem wohl der Stadtdirektor persönlich oder ein
anderer wichtiger Direktor. Jadzia kann sich hinterher an kein Wort von dem
erinnern, was Isaura und Leoncio gesagt haben, aber mit allen Fasern saugt sie
wie ein Schwamm die Melodie der fremden Sprache in sich auf. Das portugiesische
Lispeln dringt in sie hinein und gelangt in ihre Blutbahn, es wird nicht mehr
lange dauern, und Jadzia wird den Fado singen, den sie nie gehört hat, der
jedoch immer die Musik ihres Herzens gewesen ist. In der Warschauer Altstadt,
die nicht viel älter ist als Piaskowa Göra, wandelt Jadzia zum ersten Mal eine
Ahnung an, dass es etwas Größeres gibt als Walbrzych und den Babel. Ein anderes
Leben prallt wie ein Wasserball gegen sie und bringt sie kurz aus dem
Gleichgewicht. Und als wäre das nicht genug an Gemütserschütterung, steigen
Isaura und Leoncio nun von der Bühne herab wie Engel vom Himmel - dieses Licht,
das sie ausstrahlen! Die Frauen strecken die Hände aus, jede will wenigstens
einmal Isauras Hand, Leoncios Arm streifen; wenn man ihnen die Zügel schießen
ließe, würden sie sich über die Sklavin und ihren Herrn hermachen, sie würden
sie zerpicken, zerfetzen, zerknabbern, wie den Mäusespeck oder die Schokowaffeln,
die sie vor der Familie und sich selbst versteckt halten. Jadzia weiß, dass
sich ihr eine solche Gelegenheit nie wieder bieten wird, und setzt die Walze
ihrer ausladenden Hüften in Bewegung, ihre Ellbogen arbeiten wie Kolben, vor
denen sogar Krysia Sledz zurückweicht. Das ist nicht mehr die alte Jadzia
Chmura, das ist ein entfesselter Streitwagen, eine Elementargewalt, und
niemand soll es wagen, sie zurückzuhalten. Nur noch ein Hindernis in Gestalt
von drei kleinwüchsigen Dunkelhaarigen, durch das sie hindurchprescht, und sie
ist am Ziel. Da steht Jadzia von Angesicht zu Angesicht Isaura gegenüber,
derselben Isaura, die sie im Fernsehen gesehen hat! Ein Wirbelwind erfasst
Jadzia, der rote Staub der Hazienda steigt vom Kopfsteinpflaster auf, die Sonne
sinkt tiefer und brennt und brennt, die Gesichter ringsum sind lauter schwarze
Neger, ihre Zähne schimmern wie Kuchenglasur, es verschlägt ihr den Atem.
Leoncio steht direkt neben ihr, seine Augen sind der Himmel, ein Brunnen ohne
Boden, ein Sturmwind trägt Jadzia ihnen entgegen, und sie weiß selbst nicht
mehr, wo und wer sie ist, ob sie sie selbst ist oder die Sklavin Isaura.
Wenn sie das
doch bloß auf einem Foto hätte, denkt sie später, doch alles, was ihr geblieben
ist, ist die Momentaufnahme in ihrer Erinnerung und der Klang des Namens,
neben dem sich sogar Paulina und Dominika gewöhnlich ausnehmen. Während Jadzia
eine Ladung Kohlrouladen einfror und dabei ab und zu mit einem letzten Rest
Hoffnung auf das Erscheinen von Gutek mit seinem Gutek Transport die
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