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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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möchten Isaura haben,
Isaura sein, und sie essen, sie tauschen Rezepte für Isaura-Käsekuchen und
Isaura-Napfkuchen. Man braucht nur ein bisschen Kakao, und schon ist er braun
wie eine Brasilianerin von der Hazienda. Sonntags nach dem Mittagessen stopfen
sich ganze Familien mit Isaura voll und trinken süßen Tee dazu. Wenn Isaura im Fernsehen kommt, ist auf den Straßen
von Piaskowa Gora keine einzige Frau zu sehen, die Promenade am Babel entlang
ist wie leergefegt, und nicht einmal Eis wird an der Bude gekauft, obwohl doch
Sonntag ist. Trübselig tropft Vanille- und Kakaoeismischung aus den Spendern
des Automaten. Jadzia, Krysia und Bozena auf dem neunten Stock, alle Teresas,
Anias, Ewas und Urszulas spüren, wie in ihnen eine salzige Woge anschwillt und
aufsteigt. Wenn sie sich ergießen würde, würde sie den Babel wie ein Federchen
hinwegreißen und in Richtung Brasilien schwemmen, dort würden die Jadzias,
Krysias und Bozenas, die Teresas, Anias, Ewas und Urszulas aus den Fenstern
strömen wie kleine Fische durch die Maschen des Netzes, direkt auf die rote
Erde, mitten zwischen die schwarzen Neger, in der Sonne heiße Glut. In
sämtlichen Wohnungen vom Babel steht Isaura kurz vor der Befreiung aus der
Gefangenschaft, endlich sollen Glück und Wohlstand ihr zuteil werden, da dreht
sich das Rad des Schicksals wieder, und es heißt warten bis zum nächsten
Sonntag. Aber das Warten lohnt sich, man weiß, dass es mit dem Eintreffen des
Erwarteten belohnt wird, und zwar zur angesagten Stunde, was im Leben selten genug
geschieht. Als es dann ganz vorbei ist, bleibt im Sonntagnachmittag der Frauen
vom Babel ein Loch zurück. Obwohl es danach weitere Telenovelas gibt, verheilt
dieses Loch lange nicht, es zieht wie die Narbe nach einem Kaiserschnitt, und
als die Lepka die Nachricht verkündet, dass Isaura und Leoncio nach Polen
kommen, weht Jadzia ein Hauch von Abenteuerlust an, was wahrhaftig nicht jeden
Tag geschieht.
    Leider steht
Walbrzych nicht auf der Liste der Städte, die die Gäste aus dem sonnigen
Brasilien besuchen, aber Warschau steht drauf, die Hauptstadt, wo man
anlässlich Isauras auch durch die Läden und Märkte der Hauptstadt streifen
kann. Sie beschließen, mit dem Nachtzug von Breslau zu fahren und am Morgen
dann gradewegs vom Bahnhof zum Treffen mit Isaura auf dem Markt der Altstadt
zu gehen. So werden sie nur zwei Nächte und einen Tag nicht zu Hause sein, so
lange können die Familien doch vielleicht ohne sie auskommen, wenn sie
vorkochen und genau auf einen Zettel schreiben, was wo ist. Auf Isaura frisiert
und in türkische Baumwolle gekleidet, packen die Lepka, Krysia Sledz und Jadzia
hurtig ihre Koffer, stopfen Halstücher und Blusen zum Wechseln und
Lippenglanzcreme hinein. Auf dem Breslauer Hauptbahnhof zeigt sich, dass sie
nicht die Einzigen sind, die auf die Idee gekommen sind, Isaura und Leoncio zu
treffen. Am Bahnsteig warten schon etliche weitere Sklavinnen aus Breslau,
Walbrzych, Swidnica und Swiebodzice, bereit, sich in die Waggons der zweiten
Klasse zu stürzen, um sich einen Platz für die Reise durch die Nacht zu
sichern. Wer das nicht schafft, dem steht eine Nacht auf dem Gang oder gar auf
dem stinkenden Klo bevor, und wie wird man sich dann in der Hauptstadt
präsentieren? In jedes Abteil quetschen sich neun, zehn Isauras, je nach
Gewieftheit und Körperfülle; vor Aufregung schwitzen sie unter ihrer türkischen
Baumwolle, trotz Bac-Deodorants. In der Drogerie von Piaskowa Göra bekommt man
diese Deos nicht, sie werden auf Handelsausflügen in Budapest besorgt. Man
erwirbt sie im Tausch gegen Geschirrtücher und Handtücher, an denen es den Ungarn
mangelt. Es gilt dann nur, an der Grenze ruhig Blut zu bewahren, wenn der
Zöllner in die Taschen guckt, als befänden sich illegale Zeitungen darin oder
Granaten. Wenn er sie findet, rentiert sich der Ausflug nicht, aber er muss
sich rentieren, wozu sollte man sonst in dieses Budapest fahren? Die Isauras
hatten sich nun so herausgeputzt und fein frisiert und mit ihren Bac-Deos
bespritzt, doch bald schon verschmiert etwas, verrutscht, verdirbt, und
Laufmaschen machen sich eigenständig auf den Weg. Dank der Lepka zwängt sich in
ihr Abteil jetzt keine mehr, sie haben Glück. Auf der einen Seite sitzen vier
Isauras aus Walbrzych, ihnen gegenüber vier fremde, sie beäugen sich
gegenseitig und wollen es sich nicht anmerken lassen. Ist hier noch was frei -
der nächste Kopf mit Isaurafrisur schiebt sich durch den Türspalt, aber die
Lepka

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