Bator, Joanna
sagt: Nein. Sie können sich nicht noch enger quetschen, sonst ist die
ganze Aufmachung im Eimer. Der Zug setzt sich in Bewegung, mit dem Rattern der
Räder entspannen sie sich, das Schaukeln des Waggons löst die Steifheit. Die
Lepka, weltläufig und reiseerfahren, ist die Erste, die ihr Gegenüber
anspricht, um sich bekanntzumachen. Kreuz und quer stellt man sich vor. Jadzia
hat eine Slawka als Gegenüber, Krysia eine Viola und die Lepka eine Marta.
Slawka, Marta und Viola wohnen in Breslau-Kozanow, anscheinend haben sie es
dort so ähnlich wie auf dem Babel, nur ohne Ausblick auf die Berge. Krysia
holt eine Flasche selbstgemachten Kirschlikör hervor, sie trinken reihum, um
sich in Laune zu bringen, und die Laune kommt auch wie bestellt. Gemeinsam
reisen sie Leoncio und Isaura entgegen, als kennten sie sich seit Jahren. Marta
würde das Leben auf der Hazienda im fernen Brasilien gefallen. So eine
Hazienda, ja so eine Hazienda, wo so viele Familien Platz hätten, anstatt alle
zusammengedrängt auf einem Haufen. Schade, dass Alvaro nicht kommt, sagt Viola,
denn so ein Leoncio, der würde sich auch nach der Hochzeit nicht ändern. Wer
vor der Hochzeit schlägt, der schlägt auch nachher! Marta würde ganz allgemein
gerne in irgendein fernes Land reisen, aber sie kann nicht, weil sie ihre
Mutter pflegt, die irgendeine chronische Krankheit hat. Die Nacht ist kurz,
wenn man nett plaudert, draußen vor den Fenstern ziehen Sand und Kiefern vorbei.
Im Licht des Zuges blitzen sekundenlang die Augen wilder Tiere auf, kleine
Lichtpunkte, die verschwinden, als hätte man sie in eine Schublade gesteckt.
Die Felder sehen im Mondschein aus wie mit Quecksilber übergossen, und einen
kurzen Moment lang kommt es Jadzia schaurig vor, so weit von zu Hause
wegzufahren.
Gegen Morgen
schlummern die Isauras kurz ein, und die Männer, die in den vollgestopften Zug
steigen, um zur Arbeit zu fahren, sind ganz verblüfft - auf diese geballte
Isauraladung waren sie nicht gefasst. Sie schauen in die Abteile, stoßen sich
mit den Ellbogen an, ziehen den süßsäuerlichen Geruch ein, so riecht eine
Hochzeitstorte gegen Morgen, so riecht eine Nacht auf der Hazienda. Auf dem
Zentralbahnhof schütteln die benommenen Isauras bei einem Glas stark gesüßten
Kaffee die letzten Reste Schlaf ab. Wie groß der Bahnhof hier ist, und wie
modern; aus der verglasten Halle sieht man den Kulturpalast, wenn sie nachher
noch Zeit haben, wollen sie bis ganz nach oben fahren. In der Toilette möbeln
sie den Glanz wieder auf, der über Nacht ein bisschen verschmiert und verknittert
ist. Die Sparlampe leuchtet dazu mit ihrem gnädigen Licht, und Jadzia hält sich
kurzzeitig für geradezu verführerisch, ihre Augen sind fast blau. Wie wird es
werden? Sie gehen durch die Stadt, die aussieht, als hätte jemand sie
aufgefressen und dann wieder ausgewürgt, und sie können sich kaum vorstellen,
dass sie hier Isaura, die schöne Sklavin sehen werden. Keine auch noch so
jämmerliche Hazienda gibt es hier, und durch die aus dem grauen Steinbruch
der Häuser gehauenen Straßen treibt sie ein Wind voran, der weht, als komme er
direkt von Piaskowa Göra. Die Gesichter sind vertraut, kein einziger Neger, ein
Passant läuft Krysia Sledz fast um. Jadzia war noch nie in Warschau, sie hat
etwas anderes erwartet, irgendwie sauberer und heller, und erst in der Altstadt
kommt sie wieder in Stimmung. Die in der Mitte des Platzes errichtete Bühne ist
mit bunten Kreppgirlanden dekoriert, ein großes Foto von Isaura und Leoncio
hängt dort und eine Überschrift aus ausgeschnittenen Buchstaben: Willkommen in
Warschau. Allmählich schwillt die Menge an. Die Walbrzycher und Breslauer
Isauras blicken mit leichter Überheblichkeit auf ihre Schwestern aus der
Hauptstadt hinab. Man sieht, dass sie es hier weiter bis zur BeErDe haben, dass
die türkischen T-Shirts und Kosmetikpaletten, die Spiralbürstchen mit grüner
Wimperntusche und die Deodorants aus Ungarn noch nicht ihren Weg bis hierher
gefunden haben. Die hiesigen Isauras sind irgendwie kleiner, sie haben
schlechtere Zähne. Sogar Zigeunerinnen sind da, in Röcken bis zum Boden und
mit Ohrringen. Die Isauras wimmeln auf dem Platz durcheinander, jede drückt
sich ihre Tasche an den Bauch. Diese Geste hat jede Frau im Blut, sie vergisst
nie, dass dort draußen die Welt ist, in der sie beklaut werden kann, vor allem
hier, wo diese Zigeunerinnen herumlaufen. Gegen Mittag immer noch kein
Anzeichen, die Isaurenmenge wogt, die Zugereisten
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