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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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sich dieser nervöse Mann mit den kurzen Fingern und
dem Bierbauch vollkommen selbstlos ihrer angenommen hatte, denn solche Wunder
gab es nicht mal in der BeErDe. Ihr ganzes Leben lang hatte sie erfahren, dass
Männer etwas von ihr wollten, aber meistens nicht wussten was, und ihr dann
böse wurden, weil sie, Grazynka, es auch nicht wusste oder, schlimmer noch, es
wusste und nicht sagte. Hans allerdings wusste, was er wollte: Er fühlte sich
schuldig, und die in Liebesspielen aller Art erfahrene Grazynka war dazu da,
ihm dieses Schuldgefühl zu nehmen. Ein kritisches Niveau war erreicht, wenn er
das Foto seines Vaters aus der Schublade zog, der in Gestapouniform vor der
Zakopaner Berglandschaft posierte. Grazynka verstand es, Hans klarzumachen, das
sie ihn natürlich fesseln und auspeitschen könne, dass es sein Schuldgefühl
aber bestimmt erleichtern würde, wenn er von Zeit zu Zeit ihrer Schwester
Haiina in Polen ein Päckchen schickte, denn sie hatte durch den Krieg sehr
gelitten. Hans war etwas verwundert über dieses plötzliche Auftauchen einer
Schwester, wo Grazynka doch Einzelkind war, aber er hätte alles für sie getan.
Und als die Enkelin der Schwester eines Sommers dringend Hilfe brauchte, wurde
Hans Kalthöffer vor freudiger Hilfsbereitschaft ein paar Zentimeter größer.
    Beim Anblick
des ersten Pakets, das der Briefträger Haiina brachte, bekam diese vor
Schrecken fast einen Herzanfall, bevor sie den Absender sah. Niemals hatte sie
Sohn oder Schwiegertochter verraten, dass sie mit Grazynka in Kontakt geblieben
war, denn ihr Eidechsenkörper spürte in wesentlich stärkerem Maße als andere
Wahrnehmungsorgane, dass ein geradezu unanständiges Geheimnis in dem Umstand
lag, dass diese Schwesternschaft ihr von Anfang an mehr Freude gemacht hatte
als das Ehefrau- und Muttersein. Von Grazynka wusste nur Dominika, die anfangs
meinte, diese leibliche Schwester der Oma in der BeErDe sei genauso erfunden
wie die Gräfin Großherr. Wenn wieder ein Päckchen kam, packten sie zusammen die
Milkaschokoladen und Tobleronen aus dem raschelnden Papier, die Gummibärchen,
Marlboroschachteln und Dosen mit orangeroter Fantalimonade, die wie süße kleine
Springbrunnen aufschäumte. Nicht einmal Dominika jedoch wusste von dem Geld,
das versteckt in Glückwunschkarten oder zwischen den Fotos der Familie
Kalthöffer eintraf. Haiina klebte die Fotos in das Album der Alten aus dem Zug
und schrieb Grazynka lange Briefe, während sie das mit den deutschen Schweinen
verdiente Geld in ihrem Schrank unter dem Zuckersack versteckte, den sie
weiterhin für den Kriegsfall dort lagerte. Die eleganten Kleider und Blusen,
die Grazynka ihr schickte, machte sie auf einem Markt in Breslau zu Geld. Alle
paar Monate fuhr sie dorthin, sehr zur Freude ihrer Stammkundinnen, von denen
es beim Handeln nur wenige mit ihr aufnehmen konnten. Manchmal fragte Haiina
ihre Enkelin, wie viel beispielsweise hundertfünfzig Mark bei uns wären?, aber
Dominika war so daran gewöhnt, dass die Familie ihre Rechenkünste als eine Art
Zirkusnummer betrachtete, sie wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, diese
Summe existierte wirklich.
    Als Dominika
einen Platz an der Universität bekam, überwies Haiina ihr stolz die erste Miete
für die Wohnung, wo ihre geliebte Enkeltochter wohnen sollte. Im Unterschied
zu Jadzia wusste sie, dass Dominika zur Prüfung nicht nach Breslau, sondern
nach Warschau gefahren war, denn sie, Haiina, hatte persönlich die Fahrkarte bezahlt
und belegte Brote für die lange Reise geschmiert, sowohl für ihre Enkelin als
auch für Malgosia Lipka, um die sich zu Hause niemand kümmerte. Malgosia bekam
einen Platz in Medizin und Dominika in Mathematik. Von der verbotenen Liebe
ihrer Enkeltochter hatte Haiina aus dem Mund von Jadzia erfahren, die das
Gefühl hatte, dass sie mit so etwas nicht zu Krysia Sledz und erst recht nicht
zur Lepka gehen konnte, die sie schon seit längerem so vielsagend angrinste,
wenn sie ihr im Fahrstuhl begegnete. Nichts als Probleme mit den Kindern,
seufzte die Lepka dann, kaum haben sie noch in die Windeln geschissen, da haben
sie schon ihre Mutter zur Oma gemacht. Jadzia hatte das Gefühl, dass die Lepka
damit nicht nur ihren eigenen Sohn Zbyszek meinte, der Iwona Sledz
geschwängert hatte, denn die Geschichte zwischen Dominika und Adas war außer
dem Zusammenbruch des Kommunismus das Interessanteste, das sich im Babel
ereignete.
    Getuschelt
wurde darüber in den Schlangen vor den leeren Läden, wo die

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