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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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was
wird dieser Jude aus Amerika von ihr, Jadzia, denken, in was für ein ungünstiges
Licht würden diese Treter sie denn stellen, jetzt, wo sie ohnehin nicht mehr
weiß, wo sie steht, weil ihr der Boden unter den Füßen schwankt. Pumps, ein
Kleid, vielleicht mit Rüschen, das braucht Dominika, wenn sie — nur aus Trotz
gegen die Mutter - unbedingt fahren will. Vielleicht wird sie dieser Jude aus
Amerika mal zu sich einladen? Er ist ja immerhin Arzt, gutsituiert, ohne so
einen Rückhalt ist der Mensch ja ein Nichts. Nur die wilden Haare soll sie sich
doch irgendwie ... Damit sie weiblicher aussieht, nicht wie ein Homo-dingsbums.
    Oma Haiina, die
ihrem eigenen Äußeren gegenüber so gleichgültig war, dass sie mit der Wollmütze
auf dem kahl gewordenen Kopf und in dem unsterblichen Kittel mit den Affen,
Tigern und Elefanten einkaufen ging, machte sich auf ihre Weise Gedanken über
das Aussehen der Enkelin. Mit dem Gespür, an dem es Jadzia mangelte, gab sie
Dominika einen Rock und ein Kleid, als wären es wertlose Lumpen: Ob sie diesen
Mist vielleicht brauchen könne? Dominika gefiel die schwarze Lederjacke, die im
letzten Paket aus der BeErDe angekommen war, und mochte sich gar nicht von ihr
trennen, sie ahnte ja nicht, dass der Mann von Grazynka Rozpuch sie ihr gekauft
hatte, Hans Kalthöffer, der persönlich mit der Hand über das Material
gestrichen und das teuerste Modell ausgesucht hatte.
    Grazynka
Kalthöffer de domo Rozpuch vergaß die Menschen nicht, die gut zu ihr gewesen
waren. Da es von diesen in ihrem Leben nicht viele gegeben hatte, musste sie
ihr Gedächtnis nicht sonderlich anstrengen. Ihre alte Nachbarin Haiina hatte
bei ihr den Rang einer älteren Schwester und wunderte sich bei jeder ihr von
Grazynka erwiesenen Freundlichkeit, dass sie wirklich ihr galt. Als Grazynka
das Mietshaus in Szczawienko verlassen hatte, schloss Haiina nie wieder mit jemandem
Freundschaft, und an einsamen Abenden gedachte sie des Klapperns der zur
Anprobe eilenden Absätze, die in ihrer Küche den Takt der neuesten Modeschlager
klopften. Gezwungen, sich eine feste Arbeit zu besorgen, war Grazynka im Sanatorium
in Szczawno Zdröj gelandet, wo sie dank einer Stelle als Geschirrwäscherin ihre
Kinder bei sich behalten konnte, nach denen die Sozialfürsorge schon die
Krallen ausstreckte.
    Im Kurort
Szczawno bei Walbrzych hatten einst Könige und Kaiser ihre Magengeschwüre und
Nerven auskuriert, auf der Promenade im Kurpark flanierten, Mineralwasser
nippend, der griechische König mit dem rumänischen oder mit dem Zar von
Bulgarien, doch nach dem Krieg erlosch der alte Glanz, und die Kurgäste hatten
jetzt dreckige Fingernägel und abgetragene Hemden. Die Eleganz der Promenade
und der Kurhalle ruhte auf den Schultern von Jeremiasz Mucha, der nach
jahrelanger Abwesenheit wieder in die Gegend von Walbrzych zurückgekehrt war.
Begleitet von einer Band, sang er beim Dancing im Weißen Saal, und die
weiblichen Kurgäste waren begeistert, jeden Abend eine frische Blume im
Knopfloch und diese Stimme, diese Stimme, das ist was anderes als diese
modernen Schreihälse. Das einstmals deutsche Sanatorium verfiel, mausgroße
Kakerlaken ließen es sich in den Feuchtzonen von Küche und Lagerräumen gut
gehen, und die Grazynka zugewiesene Wohnung in einer für viele Familien aufgeteilten
einstmals deutschen Villa war kaum größer als ein Schrank. Doch das verdarb ihr
nicht die gute Laune, und sie legte ihre zwölf Quadratmeter mit werweißwo
aufgetriebenen Matratzen aus, dem Ersatz für Betten, Schränke und andere
Einrichtungsgegenstände, die sie sich nicht leisten konnte. Auf diesem
königlichen Lager hüpfte sie mit ihren Kindern, die weder ihr noch einander
glichen, bis zur Decke, und in dem Durcheinander von Kleidern, Schulheften und
Schminkutensilien konnte man nur mit Hartnäckigkeit oder Glück finden, was man
gerade suchte. Abends brachte sie Essen mit, das aus der Sanatoriumsküche in
alle Richtungen weggetragen wurde, und es gab Picknick auf den Matratzen.
Angelockt vom Duft der Hühnchenbeine und Frikadellen, kamen andere Bewohner der
Villa und schlossen sich ihnen an, darunter auch Jeremiasz Mucha, der einzige
Mensch, der Grazynka Frau Grazynka nannte. Danach schlief Grazynka mit den an
sie geschmiegten Kindern ein, umgeben von Hühnchenknochen und Bonbonpapieren,
und ihre Träume waren immer voll von den schönen Dingen, die vielleicht noch
geschehen würden.
    In einer weißen
Schürze mit dem Aufdruck Staatliches

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