Bator, Joanna
war in der Schule oder trieb sich mit seinen
Spielkameraden auf den Halden herum, während Wladek sich von der nächtlichen
Kellnerei ausschlief. Wenn er nach Hause kam, schlief der Sohn und wuchs im
Schlaf, sodass der Vater eines Tages ganz erstaunt bemerkte, wie groß der
Sohnesumriss unter der Decke geworden war, ungläubig griff er nach etwas, das
sich als Fuß von männlichen Ausmaßen erwies und ihm einen Tritt gab. Um diese
Entdeckung zu würdigen, schüttete er ein Häuflein polnischer Zloty neben dem
Schlafenden auf, denn ein Schokoriegel war bei einem jungen Mann nicht mehr
angebracht, das wusste sogar ein so unerfahrener Vater wie Wladek.
Als Stefan vierzehn Jahre alt war
und seine Stirn wie mit Kirschsaft bespritzt in Pickeln erblühte, war auch der
in Wladek lauernde Krebs herangereift und warf den überraschten Kellner gegen
das Büffet mit den Teczowaschen Fertigspeisen, während die Glasscheibe in
tausend Stücke zersprang. Wladek spuckte Blut und ließ sich weder durch kalte
Wassergüsse noch durch die Ohrfeigen des in Panik geratenen Geschäftsführers
wieder zu Bewusstsein bringen, also riefen sie den Krankenwagen, und
Gegrüßetseistdumaria und die Heilige Ameise rannten zu Haiina, die die Tür
öffnete und sofort wusste, dass zwei alte Nutten um vier Uhr morgens keine
guten Nachrichten bringen konnten. Nach der Operation faselte Wladek zwei
Wochen lang vom Sauerampfer, an dem man nur die oberen Blättchen abzupfen
durfte, und erschreckte Haiina mit seinem Argwohn, sie sei nicht sie, sie
schaute sich sogar um, ob da nicht eine stand, die so tat, als sei sie die
Frau des ehemaligen Schmieds, um sich über sie lustig zu machen. Kurz darauf
büßte Wladek Chmura seine Fähigkeit zu sprechen völlig ein, eine Fähigkeit,
von der er in seinem fünfzigjährigen Leben so ungern Gebrauch gemacht hatte,
denn erst war die Welt am rechten Ort, und der Schmied brauchte nichts zu sagen
— wo hat man schon mal einen geschwätzigen Schmied gesehen? danach war es zu
spät, und das Wort blieb ihm im Halse stecken, erdrückt von einem der
Krakenarme des Krebses, der ihm nach oben gekrochen war und sich im Mund
ausbreitete. Als er ins Krankenhaus kam, waren die Metastasen schon überall,
und die Ärzte schnitten Wladek noch mal auf, um ihn dann mit einer mehr schlecht
als recht zusammengestoppelten Wunde abzuschreiben. Sie schirmten das Zeugnis
ihrer Machtlosigkeit mit einem weißen Vorhang vor den anderen Patienten der
Onkologie ab, die noch ein Recht auf Hoffnung hatten, damit der Anblick des
Sterbenden ihnen nicht nehmen konnte, was ihm nicht mehr zustand. Eine Woche
nach der Operation gingen die Nähte auf, Wladek begann, ins Bett zu
vertröpfeln und sich endgültig aus der Welt zu verpissen, also nahmen sie ihn
noch mal unters Messer, damit die Medizinstudenten sehen konnten, wie das
letzte Stadium in dem noch knapp lebendigen Körper eines vierundfünfzigjährigen
Mannes mit normalem Körperbau aussah, dessen Gewicht sich auf fünfundvierzig
Kilo reduziert hatte und wohl kaum noch in die Höhe gehen würde. Entgegen den
ärztlichen Prognosen wachte Wladek nach der zweiten Operation aus der Narkose
auf und schaute, begleitet von den in Kehle, Knochen und Hirn festgekrallten
Krebskinderchen, mit dem einen noch funktionierenden Auge umher, seine Familie
in Gestalt von Frau und Sohn beugte sich so weit über ihn, wie es der unter dem
Laken aufsteigende Verwesungsgestank zuließ. Anstelle der Gesichter seiner
Nächsten, die ihm inzwischen so fern gerückt waren, dass sie sich nicht mehr
erkennen ließen, sah Wladek nur zwei Jahrmarktswindräder, ein größeres und ein
kleineres, so schön wie vor einem halben Jahrhundert auf dem Stand vor der
Dorfkirche; sie drehten sich ohne Unterlass, schneller und immer schneller.
In verspäteten Anwandlungen von
Koketterie, die ihr Gatte bisher eigentlich nie von ihr erwartet hatte,
kleidete sich Haiina für die täglichen Besuche im Krankenhaus sehr sorgfältig,
schminkte sich Augen und Mund, verrieb auf den Wangen ein zähes bräunliches
Cremepuder Marke Miraculum, das ihr mindestens acht schlecht sitzende Jahre
draufgab, weil es so fremd und unpassend aussah. Stefan stand neben ihr in zu
kurz gewordenen Hosen und schluckte an seinem Speichel, weil ihm die hinter den
Vorhängen aufsteigenden Essensgerüche aus der Krankenhausküche durch den Tod
hindurch in die Nase stiegen. Nach fünfwöchigem Todeskampf zwinkerte Wladek mit
seinem eiterverklebten Auge, hob ein letztes
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