Bator, Joanna
Klaren, Tatar und Brot,
von dem er mehr in den Korb gab als normalerweise, denn normalerweise wog man
nicht genau ab und nahm eher weg, als dass man dazulegte, damit man sich was
für zu Hause abzweigen konnte. Er trank mit ihnen die erste Runde zur Desinfektion
nach der schweren Arbeit, wie sie zu scherzen pflegten, während sie ihre blau
angelaufenen Hintern in eine entspannte Sitzhaltung brachten, dann entschwebte
der unwandelbar traurige Wladek mit dem Tablett und der Serviette über dem Arm,
die wie ein kleines Segel über einem Meer aus Rauch trieb. Die Nutten vom
Teczowa fühlten sich vom Wehmütigen Wladzio geachtet, denn wie hätten sie sonst
verstehen können, dass er nie auch nur eine von ihnen im Tausch gegen die
gewährte Freundlichkeit benutzen wollte, sie aber eigentlich nie etwas umsonst
bekamen außer Hinterntritten und Kinnhaken. Aus dem Osten, dem Norden und weiß
der Himmel woher sonst noch waren sie nach Walbrzych gekommen, so erniedrigt
und geschmäht, als wäre die Front über jede einzelne von ihnen hinweggegangen,
die Deutschen von vorn, die Russen von hinten, und dann umgekehrt. Mit
Kindern, bleich wie Kartoffelkeime und niemandem ähnlich, waren sie gekommen,
mit alten, verschossenen Fuchspelzen, in denen krankhaft glänzende
Knopfäugelein blinkten, in Schuhen mit schief gelaufenen Absätzen und mit den
Resten von Hoffnung auf eine günstige Fügung des Schicksals, wenn sie beim
Ausstellen der Papiere (die alten waren auf Nimmerwiedersehen verloren) ein
paar Jahre unterschlagen konnten und wieder dreißig waren. Ganze Kompanien
von ihnen kamen in Schlachtordnung nach Walbrzych gezogen, wie
Fallschirmspringer landeten sie mit ihren Regenschirmen in Bialy Kamieh und
Szczawienko und auf Piaskowa Göra, die Strömung der Flüsslein schwemmte sie an,
schwarz von Kohlenstaub oder Wimperntusche trieben sie herbei und gingen an
Land, um mit Spürnase und indianischer Fertigkeit im Spurenlesen in
Blitzesschnelle den Weg zu den Kasernen, Bars und Parks zu finden. Herr
Wladzio, setzen Sie sich zu uns, baten sie ihn im Morgengrauen, er sollte mit
ihnen frühstücken, dann schoben sie ihm mal ein Käsebrot mit Tomate, mal eine
Scheibe kalte Blutwurst hin, was sind Sie wieder so traurig, Herr Wladzio,
sagten sie, essen Sie doch wenigstens was aufs Brot, Sie sind doch schon mager
wie der Sensenmann. Die Rote Maryska, von allen Gegrüßetseistdumaria genannt,
die Traktoristin Lidka, die Heilige Ameise, die nie einen anderen Namen
benutzte, und als man sie tot im Sobieski-Park fand, wusste wie bei einer
Heiligen keiner, wie sie wirklich hieß - sie alle sahen in Wladek jemanden,
der noch erbärmlicher war als sie, denn sie meinten, nur jemand sehr
Erbärmliches könnte ihnen Achtung erweisen. In diesem bargeldlosen Tausch
gestatteten sie sich wiederum den Luxus, mit ihm - ebenfalls völlig kostenlos
— Mitleid zu haben. Spät in der Nacht, manchmal auch erst früh am Morgen kehrte
Wladek aus dem Teczowa heim; sauer rülpsend torkelte er über die Straßen von
Szczawienko in dem armseligen Rausch eines Trinkers, der es trotz täglich aufs
neue unternommener Versuche niemals schafft, sich vergnügt volllaufen zu
lassen.
Nach mehreren Anläufen gelang es
ihm, die Tür aufzuschließen, und er stolperte in die dichte grünliche Stille
der Wohnung, deren Inneres um diese Zeit einem untergegangenen Schiff glich,
voll seltsamer Wesen und Vorrichtungen mit unbekanntem Zweck. Unvermeidlich
fiel der Kleiderständer um, überwuchert mit Seerosen in Gestalt von Mänteln
und Schals, Wladek fing ihn im Flug auf, hiiiiiii! rief er und zog sich
unbeholfen die Schuhe aus. Bevor er sich in Unterhemd und weißer Baumwollunterhose
neben seine schlafende Frau legte, die instinktiv beiseiterückte, warf er noch
einen Blick in Stefans Zimmer. Es ist nur zum Wohl des Kindes, denk daran,
hatte Haiina ihm eingeschärft, damit er nie ausplauderte, dass ihr Kind
unehelich geboren war, doch Wladek hatte Stefan ohnehin von Anfang an als sein
eigenes Kind anerkannt und so lieb gewonnen, wie es ihm möglich war. Fast jede
Nacht schnupperte er in die kindliche Ausdünstung, die nach ein paar Jahren
sauer wurde wie Milch. Er betrachtete eine Zeitlang den Sohn, mit dem er nie
zu plaudern gelernt hatte, legte ihm einen Schokoriegel oder ein paar Bonbons
neben das Bett und schloss die Tür wieder im schmerzlichen Empfinden der
Unzulänglichkeit dieses Betrachtens und Ablegens von Süßigkeiten. Tagsüber sahen
sie sich fast nie, denn Stefan
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