Bator, Joanna
Mal die von den Tropfnadeln blau
zerstochene Hand, und noch einmal verfehlten die Eheleute einander. Sie,
schweißtriefend unter einer Fuchspelzmütze, meinte, ihr Mann wolle sich von ihr
verabschieden, er aber wollte nach dem größeren der beiden Windräder greifen,
mit dem er dann kurz darauf durch die Wiese seiner Kindheit davonging, der
letzte Weg, den er vor sich sah. Die andere Hand, die wieder kindlich weich
geworden war, lag in der seiner längst verstorbenen Mutter, mandeläugig und
braunhäutig, was sie infolge einer genetischen Laune von werweißwem geerbt
hatte, vielleicht von einer Ururgroßmutter, die Dschingis Khans Soldaten vergewaltigt
hatten, und so ging und ging er, bis die Wiese in einer plötzlichen
Lichtexplosion erstrahlte.
Ich werde dich in gutem Andenken
bewahren, schwor Haiina ihm in Gedanken, doch zeigte sich, dass man jemanden
nicht so einfach rückwirkend lieben kann, wenn man nie Übung darin gehabt hat,
und allmählich verschwamm Wladek in Witwe Chmuras Gedächtnis wie die
Erinnerung an ein misslungenes Picknick. Zwei-, dreimal im Jahr ging sie mit
Stefan an sein Grab, aber sie redeten nur über das, was sich obendrauf befand:
die Kunststeinplatte, die poliert werden müsste, die zerbrochene Blumenvase.
Sie stritten, wer Poliertuch und Paste hätte einpacken sollen, regten sich auf,
dass die Grableuchten ausgingen und die Chrysanthemen schütter und
dickstengelig waren. Was die hier für Zeugs verkauften! Die Witwe polierte
die Kunststeinplatte über dem verwesenden Bauch des Verstorbenen, und dem Sohn
knurrte der lebendige Bauch, und während er ringsum Schachtelhalm zupfte,
klagte er, man hätte den Bus nehmen und direkt beim Privatkiosk einkaufen
sollen, außerdem hätte er sich im Bahnhofsbuffet ein Brötchen mit Leberwurst
besorgen können. Die Gesichter von Mutter und Sohn machten gegenläufig alle
Stadien der Verwandlung durch, die das Leben für sie bereithielt. Bei ihr waren
es die einzelnen Phasen des Verrunzelns, Erschlaffens und Verschwabbelns, bei
ihm das Schärferwerden der Züge, das Verpickeln und Erstoppeln des Barthaars,
wovon kein Weg zurückführte, und eines Morgens tauchte er spritzend ins
Rasieralter ein. Die Sorge für jenes Rechteck Erde unter der Steinplatte,
grauweiß gesprenkelt wie von Hühnern bekackt, wurde zu einem Zweck an sich, und
der darunter ruhende ehemalige Schmied und Kellner Wladyslaw Chmura erstand
weder in Gesprächen von Mutter und Sohn wieder auf, noch erschien jemand in
ihrer Wohnung in Szczawienko, der den Platz des Toten hätte einnehmen wollen,
denn niemand wusste so recht, wo dieser Platz war. Haiina wurde im Alter von
knapp vierzig Jahren eine alte Frau, die das Ihre erlebt hatte, der Fremdes
fremd blieb, die insgesamt nichts mehr erwartete und deshalb ihre Menstruation
einschlafen ließ.
Die Witwenschaft brachte ihr neue
Probleme, denn sie musste jetzt auf eigenen Füßen stehen und sich und den
heranwachsenden Stefan ernähren. Beine und Arme ihres Kindes erschienen ihr mit
jeder Woche länger, und die Aussicht, ihn dorthin zurückstopfen zu können, wo
er hergekommen war, erschien ihr unwahrscheinlicher denn je. Das anspruchslose
Allesfresserkind, dessen lästigste Eigenschaften das nächtliche Bettnässen und
das Stibitzen von Zucker waren, wurde plötzlich vereinnahmend, groß und
unersättlich. Er verschlang alles, was essbar war, kauend und die Augen
verdrehend vor Lust wie seinerzeit, als er sich mit der Selbstvergessenheit
einer Zecke in ihre Brust krallte, dass sie Angst bekam, er würde sie nie
wieder loslassen. Jetzt, als Halbwüchsiger, warf er gierige Blicke auf den
Teller der Mutter, wenn er seine Portion aufgegessen hatte, wartete auf mehr,
das nicht da war. Vom Brot blieben nicht mal Krümel für die Vögel übrig, die
Speckschwarten waren durchgekaut, die Knochen ausgesaugt, die Kochtöpfe, die
sie hinaus aufs Fensterbrett stellte, waren morgens leer, die angefressenen
Geranien konnten kaum noch nachwachsen, dem nackten Zimmerfarn krümmten sich
die abgenagten Triebe, und die Wände der Wohnung in Szczawienko waren wie von
Kugeleinschlägen übersät, denn Stefan pulte den Kalk heraus und leckte das
weiße Pulver als Puderzucker vom Finger.
Grazynka Rozpuch rettete Haiina
vor dem Hungertod, indem sie ihr eine von den Deutschen zurückgelassene
Singer-Nähmaschine schenkte, die sie als Lohn dafür bekommen hatte, dass sie
sich benutzen ließ, doch selbst benutzte sie sie nie. Vom Zahn der Zeit beknibbelt,
der ihren
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