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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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Hintern schon wie einen benutzten Fahrschein gekerbt und ihr Gesicht
gezeichnet hatte, weckte sie weiterhin keine Sympathie bei den Frauen von
Szczawienko, denn diese für sie so offensichtlichen Spuren der Zeit entgingen
den Männern, die auf Grazynka flogen. Zu Haiina führte sie ihr Instinkt, und
sie wollte kein Geld, sondern jemanden, der sie weder anzischelte noch hinter
ihr her pfiff, noch in sie eindrang, sondern nur die Tür öffnete und sagte:
Bitte kommen Sie herein und machen Sie es sich gemütlich. Haiina machte auf,
kündigte aber an, dass sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit Näharbeiten
erkenntlich zeigen würde, und kurz darauf weinte Grazynka Rozpuch vor Glück
über einen etwas schief geratenen Rock mit weißen Punkten, denn schon lange
hatte sie kein so schön gehaltenes Versprechen erlebt. Dank der Notwendigkeit,
Stefans Hosen länger zu machen und seine Hemdkragen zu wenden, entdeckte
Haiina in sich das Schneiderinnentalent, das einer Frau bekanntlich angeboren
ist, besonders dann, wenn das Schicksal sie zu einer armen Witwe macht; bald
schon benähte sie das ganze Mietshaus in Szczawienko. Sie saß am Fenster und
kürzte für die Mutigen, machte länger für die Verheirateten, enger für die mit
und weiter für die in Hoffnung, trat so kraftvoll in die Pedale, als sollte sie
im nächsten Moment über den Halden und Fördertürmen aufsteigen, einen
knisternden Schweif aus blutroter Futterseide hinter sich herziehend. Unter
ihren Händen flossen hellblaue Ströme von Nylonblusen hervor, erblühten Rosen
auf Polyesterwesten, sprühten Fuchsien aus Acrylgeorgette Funken, ganze
Regenbogen von Resten für Tüchlein und Ansteckblumen erstrahlten in dem Zimmer
mit den Fenstern auf die Kohlenhalden. Den ersten schräg geschnittenen Rock und
zwei Blusen aus ausländischem Noneiron-Stoff nähte sie für Frau Herta Kowalska,
die einen Polen geheiratet hatte und nicht weggegangen war, sodass die Kinder
in Szczawienko aus vollem Hals hinter ihr her schreien konnten: Hitler
kaputt!, um ihre Zungen am Fremden zu schleifen. Bald hatte Haiina einen
gewissen Ruf als Damenschneiderin und Stichwunden an den Fingern. Ohne die
Zigarette aus dem Mund zu nehmen und zum Rauch den im Glas aufgebrühten
Kaffeesud schlürfend, trat sie von morgens bis abends die Pedale, das Zimmer
war übersät mit Fetzen in hellblau und rosa, fleischfarben und purpurn, als
wären die größten Modepüppchen von Szczawienko hier gemetzelt worden und
verblutet. Erst viele Jahre später sollte sie Konkurrenz bekommen, in Gestalt
von Modesta Gwiek von Piaskowa Göra, und die Kundinnen teilten sich auf in
diejenigen, die zu Haiina hielten, und diejenigen, die nur zu Modesta gingen.
Grazynka Rozpuch blieb Haiinas treueste Kundin, denn erstere zog in jedem Fall
ein Tauschgeschäft vor, und letztere nahm von ihr weniger als andere, weil sie
nicht glaubte, dass jemand ihre Gunst erkaufen wollte.
    Bald nach ihrer Ankunft in
Watbrzych war Grazynka Empfangsdame im eleganten Hotel Sudeten geworden, doch
ihr Ruf, der durch den Namenswechsel der Stadt von Waldenburg zu Walbrzych
keinen Schaden litt, hatte sie bald eingeholt, eigentlich war er ihr ohnehin
stets auf den Fersen. Sofort zerrissen sich alle das Maul über sie und tuschelten,
dass sie ihre Arbeit, die vor allem im Bedienen von Parteidelegationen bestand,
mehr im Liegen als im Sitzen verrichte, wofür sie selbst Geld und schöne Geschenke
bekomme, den anständigen Frauen in Szczawienko aber nur Schande bringe. Sie
verlor ihre Arbeit im Hotel Sudeten und machte sich auf zur Heißmangel in
Szczawienko, wo der Besitzer, Hertas Mann Ryszard Kowalski, ihr Arbeit gab,
weil er zuerst von ihrer Schönheit, dann vom geschickten Zupacken ihrer starken
Hände sehr angetan war. Eines Tages kam ein Weiblein mit Kopftuch zu Grazynka
in Szczawienko und brachte ihr zwei verrotzte und von den Windpocken
verschorfte kleine Kinder, die Fräulein Rozpuch als Rabenmutter entlarvten.
Wenn es Gerechtigkeit auf Erden gäbe, wäre sie in Sack und Asche gegangen,
hätte gejammert, ihr Schicksal verflucht oder wäre zumindest krank geworden,
doch sie ging jeden Abend zur Haltestelle und trug dabei ihren toupierten Kopf
so gerade, als stecke eine entkorkte Wodkaflasche in ihrem Dutt, und sie ließ
sich nicht einmal unterkriegen, als ihr eines Nachts die Zähne ausgeschlagen,
die Tasche gestohlen und eine Rippe gebrochen wurden. Unbeugsam stolperte sie
auf ihren hohen Absätzen nach Hause, und von den

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