Bator, Joanna
Dominika
interessiert. Alltags sitzt sie schön angezogen auf dem Fernseher, aber wenn
sie neu eingekleidet wird, das ist ein richtiger Festtag. Der Fernseher ist so
gut wie unbenutzt, Haiina hat nie verstanden, warum Leute stundenlang in
diese Kiste glotzen können, in denen Menschen im Kleinformat aussehen wie
labernde graue Leichen. So erfährst du, liebe Mama, was auf der Welt
geschieht, sagt Stefan überredend, und sie antwortet darauf: Wenn etwas Gutes
passiert, bringen sie es sowieso nicht, und wenn etwas Schlimmes passiert,
werde ich es früher oder später auch ohne Fernseher erfahren. Der Fernseher
dient also der Puppe als Sitz und Dominika dazu, die Gutenachtsendung zu
sehen, denn dann sitzen sie beide einander gegenüber. Die Puppe ist keine
gewöhnliche Plastikpuppe, wie man sie im Spielwarenladen auf Piaskowa Göra
kaufen kann oder im staatlichen Warenhaus in der Innenstadt. Sie hat ein
Porzellangesicht, echte Haare und bewegliche, sehr blaue Augen aus Glas. Haiina
hat sie von drüben mitgebracht und nach Jahren auf den unnützen Fernseher gesetzt,
womit sie beiden einen Anschein von Nützlichkeit gegeben hat. Dominika
schleicht sich nachts in das leere Wohnzimmer, in das der Kastanienbaum vor dem
Fenster fließende bewegliche Schatten wirft. Wieder hat sie von ihrer Schwester
geträumt, sie hatte kleine Zuckeröhrchen. Dominika hat sie im Dunkeln
gelutscht, ihr Mund füllte sich mit der Süße. Ihr kam es so vor, als bewegte
die Puppe sich auch, als wäre ihre Reglosigkeit tagsüber eine Lüge, doch wenn
sie ihr nachts zuzwinkerte, war das die Wahrheit. Bebend vor Aufregung sieht
sie zu, wie ihre Schwester langsam aufsteht, die Falten ihres Kleides glättet,
so makellos und kühl, den roten Tropfenmund spitzt und die Arme nach Dominika
ausstreckt. Die Arme laufen aus in Hände mit schimmernden Fingernägeln ohne
einen einzigen Trauerrand. Dominika und Paulina drehen sich immer schneller
und schneller, so schnell, dass man sie nicht mehr voneinander unterscheiden
kann. Dominika, ein rasender Derwisch im sternchengemusterten Schlafanzug,
stößt gegen Oma Kolomotive, die von dem Lärm aufgewacht ist. Paulinka kehrt
auf den Fernseher zurück und erstarrt bis zum nächsten Mal. Haiina weiß selbst
nicht, warum sie diese Nippes mitgenommen haben. Vielleicht hatte Wladek sie
eingepackt, sie selbst jedenfalls hatte nur Nötiges mitgenommen, sie hatten ja
ohnehin nicht viel, fast neue Schuhe, ein wenig Bettzeug, den Wandteppich, der
über dem Bett gehangen hatte, eine wunderschön erblühte Geranie. Nein, die
Geranie hatten sie dort gelassen. Merkwürdig, diese Erinnerung daran, wie sie
mit dem Blumentopf in der Hand dastand wie vor den Kopf geschlagen und aus dem
Fenster schaute, auf den Hof und den Hund, den sie auch nicht mitnahmen. Sie
hatte ihn nur von der Kette gelassen und gesagt: Los, lauf schon, aber er
wollte nicht weglaufen, er setzte sich neben seine Hütte und saß auch noch
dort, als sie weggingen. Die Puppe - ein Hochzeitsgeschenk von einem entfernten
Cousin Wladeks, einem mageren Mann mit großen Ohren, dem unfehlbaren
Verwandtschaftsmerkmal - hatte die ganze Reise von drüben hierher in Bettzeug
gewickelt überstanden. Züge brachten sie weg, sie alle miteinander, samt
Federmäppchen und Federbetten, Konfitüren und Knoblauchwürsten, mit den im
Gedächtnis erstarrten, unergründlichen Erinnerungen an denkwürdige Augenblicke,
während sie immer mehr verschmutzten, verlausten und stanken. Noch vor der
Grenze, mit der etwas passiert war, denn einer hatte sie von hier nach dort verschoben
- aber sie, Haiina, hatte mit so etwas nichts zu tun, sie ist nicht zur Schule
gegangen und kennt sich mit solchen Sachen nicht aus -, noch vor der Grenze
also starb der erste Mensch in ihrem Waggon. In der Nacht hatte er gemurmelt,
gestöhnt und sich ans Herz gefasst, er hatte sie nicht schlafen lassen, so ein
Eleganter, herausgeputzt wie für eine Hochzeit, die sich dann als Beerdigung
entpuppte. Hände hatte er wie eine junge Dame, daran konnte Haiina sich
deutlich erinnern, die langen Finger der Leiche in der Hand seiner Gefährtin,
ineinander verhakte Finger, von denen man nicht mehr sagen konnte, was zu wem
gehörte. Und die Frau von dem Alten, das war auch so eine Mimose, sie konnte
einem leidtun, einen Hut hatte sie schief auf den grauen Haaren, eine Brosche
mit Edelstein, Spitzchen und Litzchen. Sie vergoss nicht mal Tränen, war nur
wie versteinert, sie sah toter aus als der Verstorbene auf ihren
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